Berlinale Wettbewerb - "The Survival of Kindness"
Eine schwarze Frau in einem Käfig, weiße Soldaten mit Gasmasken, die Jagd auf Andersfarbige machen und über allem die unbarmherzige Sonne des australischen Outbacks: Rolf de Heers Endzeit-Drama "The Survival of Kindness" ist voller bedeutungsschwangerer Bilder und Symbole. Trotzdem bleibt seine Botschaft im Unklaren, denn gesprochen wird in diesem Film praktisch nicht.
Eine Buttercremetorte mit – nein, nicht mit einem Hochzeitspaar oben drauf, sondern mit einem Völkermord-Szenario: Mit diesem ungewöhnlichen visuellen Einfall beginnt der australische Berlinale-Beitrag "The Survival of Kindness". Doch kaum ist die Torte verputzt, machen sich die Soldaten auf, um ein paar neue Gräueltaten zu begehen.

Dystopische Welt
Black Woman (Mwajemi Hussein) wird in einen Käfig gesteckt und in der Wüste ausgesetzt. Ob am Ende die unbarmherzige Sonne sie töten wird, der Durst oder die hungrigen Ameisen, die überall aus den ausgetrockneten Erdspalten kriechen, ist egal. In der dystopischen Welt, die Rolf de Heer in "The Surival of Kindness" entwirft, regiert die nackte Grausamkeit.
Sein Film begleitet seine Protagonistin auf ihrer verzweifelten Suche nach "kindness", nach ein bisschen Freundlichkeit und Menschlichkeit. Denn nachdem sich Black Woman mit viel Mühe aus ihrem Gefängnis befreit hat, macht sie sich auf den Weg zurück in die Zivilisation. Erst findet sie ein verlassenes Haus, später eine alte Eisenbahntrasse und schließlich eine Straße und eine Siedlung. Aber egal wohin sie kommt: überall trifft sie nur auf Einsamkeit, Zerstörung und Leid.

Gefühl der Bedrohung
Ab und zu begegnen ihr auf ihrem Weg auch mal ein paar Menschen, aber die sind entweder halbtot, von einer Seuche dahingerafft oder sie haben ihre Sprache verloren. Hinzu kommt ein permanentes Gefühl der Bedrohung, denn auch die Soldaten, die Black Woman am Anfang in den Käfig gesteckt haben, tauchen wieder auf. Diese Männer tragen alle Gasmasken, sind extrem gewalttätig und jagen alle Menschen, die keine weiße Hautfarbe besitzen.
Überladene Symbolik
Rolf de Heer hat seinen Film während der Corona-Pandemie gedreht - zu einer Zeit, als auch die Black Lives Matter-Proteste auf ihrem Höhepunkt waren. Beides ist in seinen Film miteingeflossen, genauso wie die Verbrechen des Kolonialismus, eine Zeit, in der die indigene Bevölkerung in Australien nahezu ausgerottet wurde. Doch in seinem Bemühen, die gesammelten Menschheitsverbrechen in 90 Minuten zu packen, hat sich de Heer übernommen: Sein Film erstickt streckenweise fast an seiner überladenen Symbolik.
Vieles bleibt im Unklaren
Wer hier wen unterdrückt, hat man schnell verstanden. Doch wie es zu dem apokalyptischen Szenario gekommen ist und welche Rolle Black Woman dabei spielt, bleibt im Unklaren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in "The Survival of Kindness" kaum gesprochen wird. Die Gasmaskenträger verständigen sich nur durch Grunzlaute, Black Woman schweigt und gibt höchstens mal ein Schluchzen von sich und auch die anderen Menschen, die in dem Film auftauchen, können nicht miteinander reden. Als - kurz vor Ende des Films - doch noch ein paar (unverständliche) Sätze fallen, zuckt man im Kino fast zusammen.

Großartige Bilder
Dass der Film dann doch zumindest phasenweise überzeugen kann, liegt an den großartigen Bildern aus dem australischen Outback, die Kameramann Maxx Corkindale beigesteuert hat – und an der Hauptdarstellerin. Mwajemi Hussein, eine kongolesische Sozialarbeiterin, die hier zum allerersten Mal vor der Kamera stand, macht ihre Sache großartig. Sie spielt die Black Woman mit einer solchen Natürlichkeit und Unbekümmertheit, dass man das krude postapokalyptische Szenario drumherum streckenweise fast vergisst.
Flüchtling auf dem Roten Teppich
In dem Moment, an dem die Kamera die Perspektive der Unterdrückten einnimmt, ist die Unterdrückung zwar nicht vorbei, aber sie wird zumindest sichtbar. "The Survival of Kindness" ist zwar kein guter Film, die Tatsache aber, dass Mwajemi Hussein am Postdamer Platz über den Roten Teppich laufen kann, hat die Einladung in den Wettbewerb dann doch gerechtfertigt.
Carsten Beyer, rbbKultur