Drama - "Wann kommst du meine Wunden küssen?"
In ihrem vielgelobten Debütfilm "Staub auf unseren Herzen" erzählte Hanna Doose von einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung. Zehn Jahre später erweitert sie jetzt in ihrem zweiten Spielfilm "Wann kommst du meine Wunden küssen?" die komplizierten Familienkonstellationen. Nach vielen Jahren Funkstille kehrt eine nicht mehr ganz junge Frau in ihr Elternhaus im Allgäu zurück, wo ihre todkranke Schwester mit ihrer ehemals besten Freundin und ihrem Ex-Freund lebt. Klingt nach einer explosiven Situation …
Ein rosa Häschen, ein Engel mit riesigen weißen Flügeln, ein erwachsenes Mädchen im Unterhemd: Einträchtig stehen die beiden erwachsenen Schwestern Kathi (Katarina Schröter) und Maria (Bibiana Beglau) zusammen mit ihrer Freundin Laura (Gina Henkel) irgendwo im Schwarzwald an einem Staudamm. Sie tragen überdimensionierte Kinderkostüme und singen inbrünstig schief das Lied "Dein ist mein ganzes Herz" aus Franz Lehárs Operette "Das Land des Lächelns":
"So, wie die Blume welkt, wenn sie nicht küsst der Sonnenschein … Sag' mir noch einmal, mein einzig Lieb‘, o sag' noch einmal mir: Ich hab' dich lieb!"

Singen am Abgrund
Ja, sie haben sich lieb, diese drei Frauen - doch es dauert eine ganze Weile, bis sie sich zu dieser Szene zusammengerauft haben, bis sie so zusammen am Staudamm stehen, der auch eine Metapher ist, für den Abgrund, in den jedes Mitglied dieser erweiterten Großfamilie aus unterschiedlichen Gründen schaut.
Die Heimkehr ins Elternhaus ist traditionell vermintes Gelände
Am Anfang des Films schwingt sich eine zierliche Frau in Ledermontur auf ein Motorrad, um von Berlin in den winterlichen Schwarzwald zu brausen. Im Elternhaus angekommen, werden schnell die Spannungen spürbar, die nach sechs Jahren Funkstille zwischen Familienmitgliedern und Freunden schwelen. Schon die einfache Frage nach einer Zigarette reicht, um Gräben aufzureißen: "Hmm, meine Lederjacke, mein Haus, mein Mann - jetzt noch meine Zigaretten. Hier, noch mein Feuer!", konstatiert Maria.

Laura verteidigt sich: "Ich hab dich ungefähr tausend Mal angerufen, Maria. Du bist nicht einmal an dein Telefon gegangen. Ich hab‘ vor deiner verdammten Scheißtür gestanden. Stunden! Du hast nicht aufgemacht…"
Die Schauspielerin Laura, die Regisseurin Maria und der DJ Jan (Alexander Fehling) waren einst ein eng verschweißtes Trio im Berliner Kultur- und Nachtleben - bis Laura ihrer besten Freundin den Freund ausspannte und mit ihm zusammen ein Aussteigerleben auf dem Bergbauernhof begann, der Maria und ihrer Schwester Kathi gehört.
"Warum seid ihr damals eigentlich aus Berlin weggegangen?", fragt Maria ihren Ex. "Um ein anderes Leben zu führen. Ich wollte wissen, wie wird das sein, wenn ich woanders bin, wo es ruhig ist, wo man so in sich reinhorchen kann, auch mal, was da noch so ist, noch so rauskommt", stammelt der. "Es ist aber auch nicht so leicht, weil alles ein bisschen anders ist als wir uns das vorgestellt haben. Aber ist ja immer so ..."
Improvisierte Dialoge im festgelegten Erzählrahmen
Was da so authentisch hingenuschelt und nie konstruiert wirkt, ist das Ergebnis der besonderen Arbeitsweise von Hanna Doose. Wie schon in ihrem Spielfilmdebüt steckt sie auch hier den Rahmen der Erzählung, überlässt es aber den Schauspielerinnen im Zentrum und den Schauspielern am Rande (u.a. Godehard Giese und Marc Hosemann), ihn mit ihren Persönlichkeiten und improvisierten Dialogen zu füllen. Das führt dazu, dass sich bei aller Schwere immer auch eine Leichtigkeit und Unmittelbarkeit entwickelt, in der sich ausgelassene und bittere Stimmungen ebenso abwechseln wie zarte Annäherungen und explosive Konflikte - beispielsweise, wenn Maria den Verkauf des Hofes fordert:
"Du kannst nicht einfach diesen Hof, deinen Anteil verkaufen! Das geht nicht, Maria!“, platzt es aus Laura heraus: "Du kannst nicht immer alles kaputt machen!"

Ein Netz aus Lebenslügen und Geheimnissen
Auf unterschiedliche Weise hadern alle vier mit ihren Leben. Kathi ringt mit einer schweren Krebserkrankung, die sie mit schamanischen Ritualen austreiben will. Am Hof geben die Ziegen zu wenig Milch, um ihn wirtschaftlich führen zu können. Entsprechend kriselt es in der Beziehung von Jan und Laura, die eifersüchtig über die Nähe und Leichtigkeit zwischen ihm und Maria wacht: "Du lachst mit der, du hast Spaß mit der - mit mir lachst du nie!", wirft Laura Jan vor. "Ja, die schreit mich nicht an! Vielleicht deswegen!", kontert der und zieht sich immer häufiger in sein kleines Scheunen-Musikstudio zurück, wo auch er leise und nachdenklich das Lied von Franz Lehár anstimmt.
Und Maria gibt sich den Anstrich der vielbeschäftigten Filmemacherin, hat sich aber vor der Reise von einem Freund Geld und Drogen geschnorrt und kann in Wirklichkeit in Berlin ihre Miete nicht mehr zahlen.

Hanna Doose und ihr Schauspielerensemble spannen ein Netz aus Lebenslügen und Geheimnissen auf, und es gehört zur besonderen Qualität des Films, wie sich die Hypotheken aus der Vergangenheit ganz langsam aus beiläufigen Bemerkungen und bösen Spitzen erschließen. Besonders ist auch die dynamische Balance zwischen Bitterkeit und Ausgelassenheit, zwischen harter Abstoßung und zarter Annäherung.
Anke Sterneborg, rbbKultur