Drama - "Das Blau des Kaftans"
Überall hat Regisseurin Maryam Touzani gesucht: auf den Bazaren in Marokko, in unzähligen Stoffläden – bis sie schließlich auf einem Markt in Paris das Blau fand, das sie meinte: ein tiefes Petrol, das durch Goldverzierungen noch einmal mehr zum Leuchten gebracht wird. Es ist dieses Blau für einen Kaftan, der noch im Werden ist, der dem sehr behutsam und langsam erzählten Film seinen Titel gibt. Er steht für den Weg einer Selbstfindung, für die Liebe zur Handwerkskunst, die Liebe überhaupt. Und auch den Tod.

Erzählt wird die Geschichte von Mina und Halim, die seit vielen Jahren verheiratet sind und in der Altstadt von Salé eine kleine Schneiderei haben. Sie kümmert sich ums Geschäftliche. Er ist der Schneider, ein "Maalem", der sich auf Kaftane spezialisiert hat. Er arbeitet mit den wertigsten Stoffen, den schönsten Farben, dem edelsten Garn - und er macht alles von Hand. Das aber dauert, die Kunden sind ungeduldig und genervt. Es ist dann an Mina, sie wegzuschicken oder zu vertrösten. Beide leiden unter der bittere Erkenntnis, dass Halims Kunst keine Wertschätzung mehr erfährt.
Gefährliches Begehren
Doch gibt es jetzt einen Lehrling, der zu begreifen scheint, was Halim macht, fasziniert ist von diesem schönen schweigsamen Mann. Und so sehr dieser Yousef die Rettung für das Paar und auch die Zukunft ihres Geschäfts zu sein scheint, eine so große Gefahr geht auch von ihm aus. Denn Halim ist schwul. Und dieser Junge Youssef gefällt ihm.
Homosexualität steht in Marokko unter Strafe: Wer sich erwischen lässt, muss damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen.
Und so ist auch hier Halims Homosexualität ein Tabu: Ein Geheimnis, von dem seine Frau weiß - ohne, dass es thematisiert wird. Halim lebt seine Bedürfnisse heimlich mit fremden Männern aus und Mina, die weiß, dass sie ihm nie genug sein kann, wartet abends spät, bis er aus dem Hamam kommt. Sie sieht, wie das Begehren zwischen ihrem Mann und dem Lehrling wächst, wittert die Gefahr, kann nichts tun – bis irgendwann alles umschlägt.
Andeutungen
Maryam Azani erzählt diese Geschichte nur in Andeutungen: sich schließende Türen im Hamam, die Blicke Minas, wenn sie ihrem Mann abends das Essen vorsetzt, zarte Berührungen zwischen dem Meister und seinem Lehrling.
Der Film spielt zum großen Teil in geschlossenen Räumen: der Schneiderei oder der Wohnung von Halim und Mina, im Hamam. Kamerafrau Virginie Sudej arbeitet viel mit Großaufnahmen – die Arbeit mit Nadel und Faden, die vielen Details, die Stoffe und Farben. Ihre Bilder machen das Knistern, die Sinnlichkeit des Handwerks spürbar.

Genauso nahe ist sie bei den Protagonisten, zeigt ihre Blicke, das unausgesprochene Begehren. Die Bilder erzählen auch davon, wie die Beziehung des Paares sich verändert, der Blick sich weitet, alles lichter wird. Denn auch wenn über diese Ehe ein Schatten liegt, auch wenn Mina schwer krank ist, gibt es doch genauso viele heitere, lustige, fast alberne Momente. Und Lubna Azabal und Saleh Bakri lassen uns die komplizierte Realität dieses Paares begreifen. Beide sind zwei große Namen des arabischen Kinos - Saleh Bakris Kunst in diesem Film besteht darin, wenig zu tun und doch alles zu sagen.
Hommage an das Leben
Lubna Azabal, die in vielen internationalen Produktionen zu sehen ist, spielt oft sehr komplexe Figuren, doch gelingt es ihr immer, ihnen eine große Würde zu geben. Wie auch die Mina in "Das Blau des Kaftans", die ihr Schicksal letztlich kraftvoll und auch verschmitzt meistert. Es ist das zweite Mal, dass Azabal mit Regisseurin Maryam Azouni zusammenarbeitet, der mit ihrem erst zweiten Spielfilm eine sehr bewegende Liebesgeschichte geglückt ist - eine Hommage ans Leben.
Christine Deggau, rbbKultur