Lars Eidinger - Sein oder nicht sein © Reiner Holzemer Film
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Dokumentation - "Lars Eidinger - Sein oder nicht sein"

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Der deutsche Dokumentarfilmregisseur Reiner Holzemer hat sich auf Porträts internationaler Künstler spezialisiert: Die Fotografen William Eggleston, Jürgen Teller und Anton Corbijn, die Filmregisseure David Lynch und Caroline Link, die Modeschöpfer Dries van Noten und Martin Margiela gehören zu den von ihm Porträtierten. In seinem neuesten Film widmet er sich dem Schauspieler Lars Eidinger: "Sein oder Nichtsein" lautet der Untertitel der Dokumentation, die morgen in unsere Kinos kommt.

"Sein oder nicht sein, das ist die Frage." - Das gilt nicht nur für Shakespeares Hamlet, sondern auch für seinen Darsteller an der Berliner Schaubühne. Am liebsten wäre es Lars Eidinger, wenn man diesen Film nicht anschauen würde, um ihm näher zu kommen - sondern, um sich selbst zu begegnen: Klingt widersprüchlich?

Lars Eidinger - Sein oder nicht sein © Reiner Holzemer Film
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Eine Begegnung mit dem Selbst

Gemeint ist damit wohl, dass im Theater und im Kino immer auch die universellen Probleme der menschlichen Existenz verhandelt werden, man über das Andere immer auch etwas über sich selbst erfährt:

"Ich habe unter wahnsinnigen Zwängen gelitten, als ich Kind, als ich jugendlich war", erzählt Eidinger im Film. "Ich hatte eine Idee davon, wer ich sein will, konnte das aber nicht ausdrücken. Plötzlich war ich an einem Ort wie der Schauspielschule und habe gemerkt: da geht das, da kann ich mich zeigen und da gibt es auch ein Gegenüber, was bereit ist, sich auf mich einzulassen, um mich zu verstehen oder mir zuzuhören und das ein echtes Interesse an mir hat."

"Ich möchte über nichts drüberstehen!"

Gehört und gesehen werden, das sind die Schlüsselbegriffe des Schauspielerberufs. Dabei ist Lars Eidinger immer zugleich polternde Rampensau, die um Aufmerksamkeit buhlt, und feinnervig-empfindsamer Schauspieler, der sein Innerstes offenbart - etwa beim Telefoninterview im Auto auf der Fahrt von München nach Salzburg, wo er mit Verena Altenberger und Edith Clever für die Aufführung von Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" probt:

"Das ist so oft sehr kränkend in meinem Beruf, auch in der Konfrontation mit der Öffentlichkeit, dass man so missverstanden wird. Ich fühle mich tatsächlich oft missverstanden. Dann sagen die Leute oft: Ach, ich wundere mich, dass dich das kränkt, da musst du doch drüberstehen. Also ich stehe überhaupt über gar nichts drüber - das widerspricht meinem Verständnis von meinem Dasein. Ich möchte überhaupt über nichts drüberstehen! Ich will auch nicht, dass mir irgendwas egal ist. Also ich möchte, dass mich alles im besten Fall trifft und bewegt und berührt. Ich glaube, dann hat man verloren, wenn man als Schauspieler drübersteht, oder als Künstler - oder wahrscheinlich sogar als Mensch."

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"Zuhause ist da, wo man sich verstanden fühlt"

Wer Lars Eidinger schon mal in der Berliner Schaubühne gesehen hat, kennt das: Wenn jemand während der Vorstellung aufsteht und den Zuschauerraum verlässt, unterbricht Eidinger seine Performance und konfrontiert den Gast ganz direkt: "Bleiben Sie länger weg? Kommen Sie wieder?"

Noch verletzender ist es, wenn der Regisseur bei den Proben unaufmerksam tuschelt, wenn man gerade intensive Todesangstgefühle vor ihm ausbreitet: "Wenn ich so etwas spiele, dann will ich, dass hier absolute Ruhe ist!", poltert Lars Eidinger zutiefst entrüstet, völlig außer sich.

Neun Monate lang hat Reiner Holzemer den Schauspieler begleitet, niemals zuhause mit Frau und Kind, immer bei der Arbeit, in der Garderobe, auf der Bühne, in den Kulissen, bei den Wiederaufnahme-Proben in der Schaubühne und bei den "Jedermann"-Proben in Salzburg. Lars Eidinger fasziniert und polarisiert, bezeichnet sich gern auch mal als Genie, kokettiert mit einem gewissen Größenwahn, entblößt sich aber auch - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne -, wagt es, sich öffentlich mit sich selber auseinanderzusetzen:

"Wenn man sagt, zuhause ist nicht da, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern da, wo man sich verstanden fühlt, ist Theater ein Ort, an ich mich zuhause fühle. Und ich hatte dieses Zuhause nicht. Ich habe mir das gesucht. Ich würde auch immer beschreiben, dass die Kunst oder die Menschen, mit denen ich mich umgebe, meine Wahlverwandtschaft sind. Das sind Leute, die habe ich mir ausgesucht, weil ich mich von denen verstanden fühle."

Lars Eidinger - Sein oder nicht sein © Reiner Holzemer Film
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Schonungslos ehrlicher Blick in die Werkstatt des Schauspielers

Dazu gehört ebenfalls, dass sich Lars Eidinger vor der Kamera von Reiner Holzemer auch den Situationen ungefiltert stellt, die ihm peinlich sein könnten: Wenn er aus der Haut fährt, weil er sich vom Regisseur ungesehen fühlt. Oder wenn ihm bei der Berlinale-Pressekonferenz Tränen in die Augen steigen, für die sich ein wahrer Presse-Shistorm über ihn ergossen hat: "Warum können Männer eigentlich nicht ihre Emotionen zeigen?", fragt er zurecht. Oder wenn er die Kamera ganz unverhohlen zu seiner Schokoladenseite dirigiert: "Ich würde am liebsten links stehen, ich seh' halt hier schlauer aus als hier …"

Gelegentlich streut Holzemer Respektsbekundungen von Kolleginnen ein, die mit ihm gedreht haben: Isabelle Huppert, die von seiner ungewöhnlichen Bühnenpräsenz schwärmt, die die Blicke magnetisch anzieht, oder Juliette Binoche, die einräumt, dass er schon ein großes Ego habe, dass man aber spüre, dass er darunter einer Sache diene, die größer ist als er selbst. Es gibt eine lockere Lebenschronologie mit den wichtigsten Stationen: Ernst Busch-Schauspielschule, die erste Begegnung mit Thomas Ostermeier am Berliner Ensemble und dann mit ihm zusammen die Schaubühne, die bis heute der Ort ist, an dem er sich zuhause und gesehen fühlt.

Ein klassisches Künstlerportrait ist "Lars Eidinger - Sein oder Nichtsein" nicht. Stattdessen bietet der Film einen schonungslos ehrlichen Blick in die Werkstatt des Schauspielers, der mit Risiken verbunden ist: Ein bisschen so, wie wenn sich ein Maler im Atelier bei der Arbeit filmen lässt.

Anke Sterneborg, rbbKultur

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