Drama - "Return to Dust"
Die Berlinale 2023 ist zu Ende, die regulären Filmstarts stehen wieder im Fokus. Darunter sind auch Filme, die bereits bei anderen Berlinalen zu sehen waren – wie "Return to Dust" von Li Ruijun, der als chinesischer Wettbewerbsbeitrag 2022 zu sehen war. Ein Film, der jetzt erst in die deutschen Kinos kommt, in seinem Heimatland aber bereits zu sehen war, wo er zum Riesenerfolg an den Kinokassen wurde.
Als der Regierung irgendwann dämmerte, dass dieser Film nicht so ganz auf ihrer Linie ist, veränderte man erst das Filmende zu einem Happy-End, dann zog man ihn aus den Kinos zurück, und ließ ihn auch auf den Streamingportalen ohne Begründung löschen. Denn "Return to Dust" ist alles andere als eine Verklärung des Landlebens, es ist die bittere Bestandsaufnahme einer Welt, von der die Regierung behauptet, dass es sie nicht mehr gibt: die Armut der Landbevölkerung.

Ein Leben zu zweit
Vor allem aber ist "Return to Dust" eine große Liebesgeschichte. Es geht um eine arrangierte Ehe. Da ist Ma, der um die 40 ist, und endlich heiraten soll. Weil ihn keine will, soll er Guiying zur Frau nehmen. Auch sie ist schon älter, körperlich schwach, sie kann sie keine Kinder bekommen und ist schwer inkontinent – alles Folgen der Misshandlung ihrer Familie, die sie in einem Verschlag im Hinterhof hielt. Das erzählt sie ihrem Mann irgendwann, als sie begreift, dass sie ihm vertrauen kann.
Sie sind zwei Außenseiter, die vom Leben nichts mehr erwarten, die sich dann aber in stiller Zurückhaltung annähern, respektieren und lieben lernen. Sie arbeiten Tag und Nacht, kümmern sich um ihr kleines Fleckchen Land auf dem kaum etwas wächst, sind glücklich, wenn aus 10 geborgten Eiern irgendwann Hühner schlüpfen. Es gibt viele Momente des Glücks, der schönste vielleicht, wenn die beiden nachts im strömenden Regen rausrennen, um ihre Lehmziegel zu retten und einen Lachanfall angesichts der Unmöglichkeit dieses Unterfangens bekommen.
Armut in Würde
Doch haben sie keine Perspektive – und wenn sich dann doch eine auftut, greifen sie nicht zu. Als nämlich ein schwerreicher Landbesitzer, der die Bauern nach Strich und Faden ausnutzt und übers Ohr haut, schwer erkrankt, ist Ma der Einzige, der dieselbe Blutgruppe hat. Und er gibt sein Blut, ohne irgendetwas dafür zu verlangen. Obwohl er sich so aus seiner materiellen Not retten könnte. Aber so denkt Ma nicht, er denkt anders, menschlich. In gewisser Weise verweigert er sich den kapitalistischen Regeln.

Der Film erzählt von Armut in Würde. Er ist aber auch eine Bestandsaufname von Tradition und Moderne: Wenn die Männer in Schlips und Kragen mit ihren Baggern kommen, die die ärmlichen Hütten, die die Bauern mit ihren eigenen Händen gebaut haben, dem Erdboden gleichmachen. Wenn der Landbevölkerung ihre Existenzgrundlage geraubt wird und sie umgesiedelt werden in schnell hochgezogene Trabantenstädte. All das ist hier auch Thema: Der Verlust der Werte, das einfache Glück – das nichts mehr zählt in einer Gesellschaft, in der alle gleich sein sollen. Doch was soll ein einfacher Bauer im zehnten Stock eines Hochhauses? Die Hauptfigur Ma jedenfalls sieht nicht den Komfort fließenden Wassers, er fragt nur "Wohin soll ich denn hier mit meinen Hühnern und meinem Esel“?

Hoffnung des Independent-Kinos
Regisseur Li galt ein bisschen als Hoffnungsträger des chinesischen Independent-Kinos, und wurde auch in China schon mehrfach ausgezeichnet. Heute ist er 40 Jahre und geht auch mit seinem sechsten Spielfilm zurück in seine Heimat im Norden Chinas, in die ländliche Region Gatotai. Es gelingt ihm, uns dieses ländliche Leben nahezubringen, uns vergessen zu machen, dass es Schauspieler sind, denen wir hier zuschauen. Die Liebe und der Respekt mit dem Li diese Geschichte erzählt, machen "Return to Dust" zu einem kleinen Juwel.
Christine Deggau, rbbKultur