Drama - "Tár"
Sie ist eine gefeierte Dirigentin, sie leitet ein großes und bedeutendes Orchester in Berlin und sie wird gejagt von ihren eigenen Dämonen. Tár, mit dem interessanten Akzent auf dem a – so heißt die Hauptfigur in dem gleichnamigen Spielfilm von Regisseur und Drehbuchautor Todd Field. Der Film mit Cate Blanchett in der Hauptrolle feierte in Deutschland Premiere bei der diesjährigen Berlinale in der Sektion Berlinale Special. Jetzt kommt er hier ins Kino.
Lydia Tár ist eine doppelte Kunstfigur, aber der Film führt sie fast dokumentarisch ein mit einem Interview, das der Journalist Adam Gopnik führt. In dem Gespräch erwähnt er etwas langatmig alle Spitzenpositionen, die Lydia Tár je inne hatte. Gopnik spielt sich selbst. Das wirkt so echt, dass man glauben kann, Lydia Tár existiert wirklich. Doppelte Kunstfigur deshalb, weil am Ende des Films klar wird, dass die prominente Künstlerin ihre öffentliche Persona selbst erfunden hat, aber das mindert nicht ihr künstlerisches Talent.

Die Dirigentin - eine machtbewusste Einzelkämpferin
Tár ist tough geworden im Lauf ihrer Karriere. Sie arbeitet in Berlin. Sie unterrichtet in New York und sie hat eine Stiftung zur Förderung junger Dirigentinnen gegründet. Sie ist hart zu sich selbst, aber auch hart zu anderen. Bei einem Workshop staucht sie einen jungen Studenten zusammen, der nicht versteht, warum als er als person of colour die Musik eines alten Cis-Mannes wie Bach spielen soll. Außerdem wird Lydia Tár verfolgt von einer früheren Verehrerin, vielleicht auch Freundin. Sie wird eifersüchtig beobachtet von ihrer Assistentin, die sich mehr erhofft und sie wird kritisch hinterfragt von ihrer Frau, mit der sie eine gemeinsame Tochter hat.
Cate Blanchett als Star mit Taktstock
Der ganze Film ist auf Cate Blanchett zugeschnitten und die Schauspielerin folgt dem starken Designwillen des Regisseurs und legt die Figur sehr geplant an. Im Eingangs-Interview sieht man, wie sich Tár immer wieder ans Ohr greift. Vor dem Auftritt spannt sich die ganze Gestalt zu einer reglosen Statue, nur der Mund zuckt mitunter unmerklich. Cate Blanchett spielt die Dirigentin sehr straff, sehr überlegt. Eine Frau, die sich nicht in die Karten schauen lässt und die selbst noch im Schlaf von Geräuschen geplagt wird. Mit ihrer Ehefrau und ihrer Tochter lebt Tár in einem Haus aus Sichtbeton und ihre ganze Figur wirkt so unnahbar wie dieses Material. Aus dem Familienleben zieht sie sich zurück in eine Altbau-Arbeitswohnung, die sie auch für intime Rendezvous nutzt.
Gegenüber dieser personifizierten Willenskraft ist der Auftritt von Nina Hoss geradezu erholsam. Sie spielt die erste Violinistin im Orchester, aufmerksam, sehr geerdet, ruhig, unheimlich präsent. Nina Hoss verbindet die Szenen mit ihren Blicken, ohne dabei absichtlich in den Vordergrund treten zu wollen. Beide Schauspielerinnen treten sowohl auf der Bühne als auch im Film auf. Hier spielt Cate Blanchett eher Theater und Nina Hoss für die Kamera.

Das Orchester wirkt gemütlich
Der Film bietet ziemlich viele realistische Berlin-Bilder, das Berliner Orchester wirkt da gediegen, selbstbewusst ein bisschen umständlich durch das Mitspracherecht der Musiker – gedreht wurde aber in Dresden. Und natürlich setzt sich Tár über alle Konventionen hinweg, als sie eine junge Cellistin entdeckt, die sie engagieren will, obwohl ihr die Voraussetzungen für ein Vorspiel eigentlich fehlen. Da beginnt die Figur zu kippen und von der Macht korrumpiert zu werden. Der Film verliert das Interesse an dem Orchester und konzentriert sich ganz auf den Niedergang seiner Heldin.
Vorwurf des Anti-Feminismus
Todd Field hat sich ziemlich offensichtlich am Lebenslauf von Marin Alsop bedient. Die amerikanische Dirigentin leitet das Baltimore Symphony Orchestra, ist mit der Hornistin Kristin Jurkscheit verheiratet, die beiden haben einen Sohn. Und Marin Alsop ist in dem Männergeschäft tatsächlich so exponiert, dass man ihren Ärger verstehen kann. Ist die Geschichte anti-feministisch? Zu Beginn lässt Todd Field offen, ob Tár tatsächlich ihre Macht missbraucht hat oder ob sie nicht vielleicht doch Opfer der Cancel Culture wurde, die brutal in den sozialen Medien Gerüchte, politische Positionen und persönliche Rache miteinander mischt. Man weiß nicht, ist ihre Verehrerin seltsam, oder diskreditiert Tár sie als seltsam. Ist ihre Assistentin eine Intrigantin oder ist sie verletzt worden.
Am Ende wechselt der Film seine Form
Das Spiel mit Fiktion und Realität funktioniert so lange erstaunlich gut, wie Todd Field bei seinem betonkühlen, wohlüberlegten blaugrauen Ausgangs-Design bleibt, bei einer Art Teflon-Optik, an der alles abzuperlen scheint. Es funktioniert, solange er die Ambiguität aufrecht erhält. Erst zum Schluss, als sich die Dirigentin wie ein gehetztes Tier in das Haus ihrer Mutter zurückzieht, bekommt der Film einen Horror-Twist, der nicht richtig zum Ausgangspunkt passt. Da verliert er alle realistischen Ambitionen aus dem Auge und wirkt am Ende mutlos. Tár startet ungewöhnlich und beunruhigend, nimmt dann aber eine eher konventionelle Kurve.
Simone Reber, rbbKultur