Drama - "Empire of Light"
Nach den beiden James Bond-Filmen "Skyfall" und "Spectre" und dem spektakulär wie in einer subjektiven Einstellung gedrehten Kriegsfilm "1917" ist das neueste Werk von Sam Mendes eine sehr viel intimere Erzählung: In "Empire of Light" geht es um die Bediensteten eines alten Art Deco-Kinopalastes in den 80er Jahren an der britischen Küste in Margate, ein magischer Ort, der schon deutlich bessere Zeiten gesehen hat. Der Film ist prominent besetzt, unter anderem mit den Oscar-Preisträger:innen Olivia Colman ("The Favourite") und Colin Firth ("The King’s Speech").
Die Pandemie hat viele Filmemacher dazu gebracht, ihre Kindheit und die ersten Kinoerfahrungen zu reflektieren - am schönsten Kenneth Branagh in "Belfast", Nan Palin in "Das Licht, aus dem die Träume sind" und zuletzt Steven Spielberg in "The Fabelmans". Sam Mendes geht es in "Empire of Light" vor allem darum, die durch Lockdown und Ansteckungsangst bedrohte Kinokultur zu beschwören - jenes Reich des Lichts, von dem hier der Filmvorführer erzählt:
"Es ist faszinierend, weil es nur von unbewegten Bildern kommt, mit etwas Dunkel dazwischen. Aber unser Sehnerv hat eine kleine Schwäche, die genutzt wird. Wenn ich den Film mit 24 Bildern pro Sekunde abspiele, kann das Dunkle keiner sehen. Es heißt Phi-Phänomen. Die Ansicht unbewegter Bilder in schneller Abfolge erzeugt die Illusion von Bewegung. Die Illusion von Leben."
Persönlich, aber nicht autobiografisch
Der alte, von Toby Jones verkörperte Vorführer im "Empire of Light", bringt Steve, den neuen, jungen Angestellten zum Staunen. Doch es geht um mehr als nur die Magie des Kinos, wie Sam Mendes bei der Vorstellung im British Film Institute in London erzählte:
"Obwohl ich darin nicht vorkomme, ist der Film sehr persönlich inspiriert, von Kindheitserinnerungen an meine Mutter, die sich psychisch aufgelöst hat. Es geht nicht nur um die Magie des Kinos, es geht um psychische Krankheit, um Rassismus, und es geht darum, wie Filme, Musik und Kunst dabei helfen können, jemanden, der gebrochen ist, wieder zusammenzufügen."
Eine Erinnerung an die Mutter des Regisseurs
Es geht also doch wieder um die Magie des Kinos: Der für "1917" mit dem Oscar ausgezeichnete Meisterkameramann Roger Deakins fängt die Patina des malerischen Verfalls in nostalgisch warmem Licht und fließend weichen Kamerabewegungen ein.
Nachdem Mendes seinen letzten Film seinem Großvater gewidmet hat, dessen Erzählungen aus dem Ersten Weltkrieg das Kriegsepos "1917" inspiriert haben, widmet er sich jetzt einem weiteren Aspekt seines Familienlebens: Olivia Colman verkörpert Hilary, die Frontfrau des alten Art Deco-Kinopalastes und ist inspiriert von der Mutter des Regisseurs, die ebenfalls unter einer bipolaren Störung litt. Nach längerem Krankenhausaufenthalt ist Hilary gerade wieder zur Arbeit zurückgekehrt. Beim Besuch in der Arztpraxis wirkt sie in sich gekehrt, fast apathisch. Ob sie denn jemand habe, mit dem sie reden könne, fragt der Arzt. Freunde? Zumindest bilden die Angestellten des Kinopalastes eine Art Ersatzfamilie, in der die verschiedensten Außenseiter aufgefangen werden.

Ein bisschen Wärme, Leichtigkeit und Schwung
Mit ihrem Chef (Colin Firth) lässt sich Hilary zunehmend widerwillig auf lieblosen Bürosex ein. Ein Lichtblick eröffnet sich mit der Ankunft des deutlich jüngeren Steven (Micheal Ward). Mit seinen Augen nimmt sie auch den Zauber des Ortes wahr, zum Beispiel in den oberen, stillgelegten Stockwerken, mit den nicht mehr bespielten Kinosälen, in denen die Tauben nisten. Zwischen Hilary und Steven beginnt es zu knistern. Auf unterschiedliche Weise sind beide Außenseiter: Sie wegen ihrer psychischen Krankheit, er wegen seiner schwarzen Hautfarbe.
Eine Weile finden sie Trost und Wärme aneinander, Leichtigkeit und Schwung, beim Baden am Meer, auf dem Jahrmarkt. Doch dann wird Hilary entsetzt Zeugin, wie Steven von drei Skinheads handgreiflich angepöbelt wird. Ob das öfter passiere, fragt sie. "Oh ja, es ist überall", erwidert er.
Im England von Margaret Thatcher rumort es. Hilary versucht Steven zu motivieren, seine Pläne für eine bessere Zukunft trotz der Widerstände nicht aufzugeben: "Die bestimmen doch nicht, was du tun oder lassen kannst! Niemand gibt dir das Leben, das du dir wünscht. Du selbst musst es gestalten!"

Ein Themen-Patchwork
So richtig harmonisch verbinden sich die vielen verschiedenen Themen nicht, die Sam Mendes in seinen Patchwork-Film stopft. Verbunden werden die disparaten Teile vor allem durch den Sog, in den der Blick durch die magnetische Kamera-Arbeit von Roger Deakins gezogen wird, und durch das nuancenreiche Spiel von Olivia Colman, die widersprüchliche Gefühle von Ernüchterung, Einsamkeit, Hoffnung und zartem Glück in launischem Wechsel wunderbar durchlässig spielt.
So ist "Empire of Light" das schillernde Psychogramm einer mal warmherzigen und dann wieder frostigen Frau und eine Liebeserklärung an den verblichenen Glanz des Kinos: "Dieses flimmernde Licht ist ein Ort der Hoffnung."
Anke Sterneborg, rbbKultur