Leonie Benesch in "Das Lehrerzimmer"; © Alamode Film
Alamode Film
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Drama - "Das Lehrerzimmer"

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Schon im letzten Jahr kam unter dem Titel "Eingeschlossene Gesellschaft" ein Film in unsere Kinos, der im Lehrerzimmer spielt. Sönke Wortmann erzählte da in Echtzeit von einem Vater, der an einem Freitagnachmittag in die Schule kommt, um die sechs noch im Lehrerzimmer versammelten Lehrer - zur Not mit Gewalt - davon zu überzeugen, dass sein Sohn zu den Abiturprüfungen zugelassen wird. Nun läuft der Film "Das Lehrerzimmer" von Ilker Çatak in unseren Kinos an, der schon auf der Berlinale zu sehen war.

Ein Gymnasium am Rande von Hamburg, gewiss keine Brennpunktschule. Doch wenn es ein Problem gibt - beispielsweise, dass Geld und Wertsachen geklaut werden, dann kommt schnell ein Junge mit Migrationshintergrund in Verdacht. Und mittendrin Carla Nowak, eine junge, engagierte Lehrerin, die alles richtig machen will, was ohnehin fast unmöglich ist.

Das Lehrerzimmer © Alamode Film
Bild: Alamode Film

Und dann wird sie Zeugin ungewöhnlicher, nicht ganz rechtmäßiger Methoden: Ein Kollege, der es besser wissen müsste, nötigt die beiden Klassensprecher dazu, einen Verdacht zu äußern, und dann rückt die Direktorin in Carlas Nowaks Unterricht an, mit zwei Lehrern als Verstärkung. Nachdem die Mädchen aus dem Raum geschickt wurden verkündet die Direktorin: "Alle, die jetzt noch hier sind, hören genau zu. Wir würden gerne einen Blick in eure Portemonnaies werfen. Das Ganze ist natürlich freiwillig - aber wer nichts zu verbergen hat, der braucht sich auch keine Sorgen machen."

Eine Sinfonie widersprüchlicher Gefühle

Eine perfide Argumentation, die die Rechte der Kinder aushebelt. Frau Nowak versucht, gute Miene zu bösem Spiel zu machen, weil sie als Neue im Kollegium erstmal die Codes der Schule entschlüsseln muss. Gerade noch hat sie den Kindern die Regeln der Mathematik erklärt: "Das Wichtigste, was ihr verstehen müsst, ist, dass ein Beweis immer eine Herleitung braucht, Schritt für Schritt." Doch übertragen in die Realität des Klassenzimmers scheint das plötzlich nicht mehr zu gelten.

Leonie Benesch, die dieses Jahr auf der Berlinale zum Shooting Star gekürt wurde und schon als 17-Jährige in Michael Hanekes "Das weiße Band" aufgefallen ist, macht dieses Ringen zwischen dem moralisch Richtigen und der erzwungenen Zurückhaltung ganz unmittelbar spürbar. Eine ganze Sinfonie widersprüchlicher Gefühle lässt sich auf ihrem Gesicht und in ihrer Körpersprache ablesen, eine volatile Mischung aus fassungslosem Entsetzen und mühsamer Zurückhaltung, aus Empörung und Beherrschung, aus Wut auf die übergriffigen Kollegen und Empathie für die Kinder, die ihnen ausgeliefert sind.

Schule als Mikrokosmos

Wie das Recht mit der Realität kollidiert, davon hat Ilker Çatak bereits erzählt - davon, dass es unter Menschen eigentlich nie einfache Lösungen gibt. Das war schon in den Romanverfilmungen "Es war einmal Indianerland" und "Räuberhände" so, und dazwischen in dem Autorenfilm "Es gilt das gesprochene Wort" über eine Scheinehe zwischen einer deutschen Pilotin und einem kurdischen Geflüchteten.

In "Das Lehrerzimmer" untersucht Çatak im Kleinen der Schule dieselben Kräfte, die auch im Großen der Gesellschaft wirken. Und wie immer speist sich die Geschichte auch hier aus den interkulturellen Erfahrungen, die er als in Deutschland geborener Sohn türkischer Einwanderer gemacht hat - oder besser noch, aus einem generell wachsamen Blick für seine Umgebung, die Probleme mit der Wahrheitsfindung, dem Zündstoff, der im Zusammentreffen verschiedener Kulturen und Klassen liegt, im weiten Spektrum von latenter Diskriminierung bis zu offenem Rassismus, im mehr oder weniger militanten Eintreten für die eigenen Interessen, im schwierigen Gefüge von Macht und Hierarchie.

Das Lehrerzimmer © Alamode Film
Bild: Alamode Film

Versteckte Kamera als Sündenfall

Um die Suche nach einer Lösung, bemüht sich Frau Nowak ehrlich. Doch, um den falsch verdächtigten Jungen zu schützen, macht sie einen schwerwiegenden Fehler und spielt spontan mit versteckter Kamera Privatdetektivin im Lehrerzimmer. Immer mehr verheddert sie sich zwischen guten Absichten und falschen Schlussfolgerungen.

"Das Lehrerzimmer" ist auf einen einzigen Schauplatz beschränkt: eine Schule, mit ihren Klassenräumen, dem Lehrerzimmer, der Turnhalle, den Gängen dazwischen und dem Schulhof davor. Was Kinder und Lehrer jenseits der Schule tun, spielt keine Rolle für den Gang der Ereignisse, die sich ganz aus der Perspektive der jungen Lehrerin entfalten - immer in ihrem Beisein, immer in ihrem Blick, immer in ihren mal gedrosselten, mal offenen Reaktionen.

Es ist eine enge Welt, die im fast quadratischen 4:3 Format gedreht ist, Gefühle können nicht entweichen, fordern immer ganz direkte und unausweichliche Reaktionen. Es zeigt sich: Demokratie ist ein schwer zu erkämpfendes Gut, und manchmal muss man Hilflosigkeit und Wut einfach mal nur herausschreien!

Anke Sterneborg, rbbKultur

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