Drama - "Divertimento - Ein Orchester für alle"
Die Toleranz und Zusammenhalt fördernde Kraft der Musik, vor allem unter Jugendlichen in sozialen Brennpunkten, wurde schon in vielen Filmen beschworen. Diese Woche kommt ein Film in unsere Kinos, der die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte von Zahia Ziouani erzählt, die in den 90er-Jahren in der Pariser Banlieue aufgewachsen ist und gegen alle Widerstände Dirigentin wurde. Der Film von Marie Castille Mention-Schaar heißt "Divertimento" - wie das von Zahia Ziouani gegründete Orchester.
Ganz klassisch beginnt der Film mit einem Initiationsmoment: Spät abends kommt die kleine Zahia ins Wohnzimmer gelaufen, wo ihre Eltern gerade eine Aufführung von Ravels "Bolero" anschauen. Sie ist augenblicklich gebannt und ihre kleinen Hände machen angedeutete Dirigierbewegungen.
Doppelte Diskriminierung
Zahia und ihrer Zwillingsschwester Fettouma wachsen als Kinder algerischer Einwanderer in den 1990er Jahren in der Pariser Banlieue Seine-Saint-Denis (kurz: Stains) auf. Mit 17 wechseln die musikbegabten Mädchen in die Abschlussklasse des renommierten Pariser Lycée Racine, wo sie von den Klassenkamerad:innen alles andere als herzlich aufgenommen werden: "Es gibt klassische Musik in Stains?", frotzeln sie.
Da Zahia noch keinen eigenen Taktstock hat, legen sie ihr ein Baguette aufs Pult. Die Geschwister werden doppelt diskriminiert: als Einwanderer und als Mädchen.

Talent beeindruckt
Zahia hat große Ambitionen, sie spielt die Bratsche, möchte aber Dirigentin werden: "Dirigent - das ist kein Beruf für Frauen", meint der berühmte Stardirigent Sergiu Celibidache, dem der Schauspieler Niels Arestrup Gewicht verleiht, zusammen mit der bewährten Mischung aus Schleifer und Gönner. Angeblich fehle Frauen für den elitären Beruf das nötige Durchhaltevermögen, meint er, lässt sich aber immerhin von Zahias Talent beeindrucken.
Das Drehbuch hat die Regisseurin in enger Zusammenarbeit mit den beiden Schwestern geschrieben. Ihre Kamera ist immer ganz nah an ihren Gesichtern, liest ihre Reaktionen auf Anfeindungen und Diskriminierungen, aber auch die Anspannung vor dem Auftritt oder das Glück beim Spielen seismografisch von den Gesichtern ab, erzählt überhaupt viel über Körpersprache, Mimik und Gestik. Beispielsweise wenn Zahia immer wieder Rhythmen aus ihrer Umgebung aufnimmt: von Geräuschen in der Küche oder auf den Straßen.

Vor allem gibt sie der Musik viel Raum, mit Werken von Haydn, Ravel, Prokoview oder Camille Saint-Saëns, die in langen Passagen zu hören sind.
Die Widerstände, die Zahia an der Eliteschule erlebt, bringen sie auf die Idee, die beiden im Zwist stehenden Welten völkerverbindend zusammenzuführen. Ganz im Sinne von Camille Saint-Saëns, der in seiner Musik viele verschiedene Kulturen und Klänge zusammenführte, gründet sie das Orchester Divertimento, in dem Schülerinnen und Schüler aus Stains mit Schüler:innen vom Lycée Racine zusammen musizieren. Als im Proberaum die Notenständer verschwinden, sind es die Underdogs aus der Banlieue, die die Idee haben, sich die Notenblätter einfach gegenseitig auf den Rücken zu kleben: "Am Stadtrand haben wir keine Kohle, aber Fantasie!"

Sinnliches Plädoyer gegen Rassismus und Diskriminierung
Von ihren Eltern haben die Mädchen gelernt, nicht so leicht aufzugeben: "Wenn es das ist, was du willst, Dirigentin werden, dann bleib am Ball", fordert ihr Vater. "Lass nicht zu, dass das Leben für euch entscheidet!"
Nach dem kurzen Moment des Zweifelns ist Zahia umso entschlossener, es mit allen Widerständen aufzunehmen: "Ein Sinfonieorchester? Weißt du Zahia, wie viel Geld man braucht für so ein Projekt?“, erwidert der Bürgermeister - doch die hält forsch dagegen: "Dieses Orchester ist eine Investition für die Stadt und für die Jugend. Ja, ich bin der Meinung, dass die Einwohner von Stains es verdienen, große Werke unter guten Bedingungen dargeboten zu bekommen."
Zahia ist entschlossen, die Welt zu verändern. So ist "Divertimento" ein berührendes und sinnliches Plädoyer für den Glauben an die eigenen Träume, gegen alle Widerstände durch Rassismus und Diskriminierung. Weltweit sind nur 6 % aller Dirigenten Frauen, in Frankreich sind es sogar nur 4 %. Zahia Ziouani ist eine von ihnen.
Anke Sterneborg, rbbKultur