Tragikomödie - "Fucking Bornholm"
Zwei Familien am Strand, zwei Beziehungen im Stress-Test: In Anna Kajezaks Ehedrama "Fucking Bornholm" kämpfen die Menschen mit offenem Visier. Eine straffe Dramaturgie, gute Dialoge und eine toller Cast machen diesen Film zum Erlebnis – und zu einer Werbung für das polnische Kino.
Seit vielen Jahren treffen sich Hubert (Maciej Stuhr) und Dawid (Grzegorz Damiecki) mit ihren Familien zum gemeinsamen Urlaub auf Bornholm. 2 Wohnwagen am Ostsee-Strand, dazu Lagerfeuer, Dosenbier und idyllische Touren auf dem Mountainbike – was könnte da schiefgehen?

Was könnte da schiefgehen?
Doch in diesem Jahr ist alles anders: Die Ehe von Hubert und seiner Frau Maja (Agnieszka Grochowska) steckt in einer Krise und bräuchte dringend eine Therapie. Dawid ist frisch geschieden und hat eine deutlich jüngere Freundin im Schlepptau: die Psychologie-Doktorandin Nina (Jasmina Polak), die er bei Tinder kennengelernt hat. Außerdem ist sein 10-jähriger Sohn Kaj mit dabei, mit dem er das erste Mal seit der Scheidung unterwegs sein darf.
Die wunden Punkte des Mittelstands
In dieser Konstellation sind eine ganze Reihe von Konflikten angelegt – Konflikte, die von Anna Kazejak genüsslich zelebriert werden. Wie mit einem Skalpell seziert die Regisseurin ihre Figuren und zeigt die wunden Punkte einer polnischen Mittelstandsexistenz: Midlife-Crisis, unerfüllte Sehnsüchte, mangelnde Wertschätzung durch den Partner oder die Partnerin – und die Angst, man könnte in seinem Leben irgendwas verpasst haben. All das schaukelt sich am Ostseestrand hoch, bis es irgendwann knallt.
Das Ende der Leidenschaft
Als es zwischen den Kindern der alten Freunde zu einem sexuellen Übergriff kommt, läuft der Urlaub aus dem Ruder. Schlecht verheilte Wunden brechen auf, alte Rechnungen werden beglichen und am Ende ist nichts mehr so, wie es war. "Wenn Du in den Augen deines Partners keine Bewunderung mehr erkennen kannst, dann endet die Liebe", sagt Maja an einer Stelle des Films, "und die Leidenschaft endet schon lange davor."

Wut und Resignation
Agneszka Grochowska und Maciej Stuhr sind in Polen beliebte Schauspieler, bei uns in Deutschland kennt man sie kaum. Das aber dürfte sich nach diesem Film ändern, denn wie Agneszka Grochowska nur mit ihrem Gesichtsausdruck ganze Romane erzählt, ist wirklich beeindruckend: Die ganzen Verletzungen aus zehn Jahren Ehe, die Wut und die Resignation. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie es schafft, aus dem Käfig ihrer toxischen Beziehung auszubrechen. Und während ihr Mann noch darüber nachdenkt, wie man den Schaden minimieren könnte, ist sie schon wieder einen Schritt weiter.

Abschied vom Pathos
Das polnische Kino ist für seine Unmittelbarkeit bekannt. Es scheint, als hätten die Regisseur:innen der post-sozialistischen Ära keine Zeit mehr für Pathos und Sentimentalitäten. Schnelle Schnitte, klare Bilder und Dialoge, die sofort auf den Punkt kommen. Dazu ein Filmscore des polnischen Komponisten Jerzy Rogiewicz, der mit Versatzstücken von Vivaldi spielt und der gerade durch diesen Stilbruch Spannung erzeugt.
Keine Werbung für Familienurlaub an der Ostsee
"Fucking Bornholm" ist ein eindrückliches Ehedrama, bei dem man viel zum Nachdenken findet. Was der Film definitiv nicht ist: Werbung für Familienurlaub an der Ostsee!
Carsten Beyer, rbbKultur