Drama - "Rodeo"
Lola Quivorons Debütfilm "Rodeo" feierte im letzten Jahr auf dem Festival von Cannes in der Sektion 'Un certain regard' Premiere und wurde dort mit dem Sonderpreis ausgezeichnet - eine Herzensangelegenheit der Jury also. Es geht um eine Frau in einer Männerdomäne, und zwar in der Szene der illegalen Motocross-Rennen. Statt auf Pferden reiten die jungen Männer in "Rodeo" auf kleinen wilden Motocross-Bikes mit sehr starken Motoren - und mittendrin: eine ungestüme junge Frau.
Lola Quivoron ist fasziniert von dem Freiheitsgefühl und der Kameraderie, die in der Szene der Motocross-Rennfahrer herrscht. Schon während ihres Regiestudiums auf der Pariser Filmschule Fémis hat sie dort recherchiert, ist mit den Jungs herumgereist, hat mit ihnen gefeiert.

Freiheit und Kameraderie in der Szene der illegalen Motocross-Rennen
Wie in dem Milieu üblich, waren die Frauen in der Regel schmückende Begleitung, praktisch nie selber Fahrer. Doch irgendwann tauchte da eine junge Frau mit eigenem Bike auf, die mindestens so wild und aggressiv fuhr wie ihre männlichen Kollegen. Nach zwei, drei Rennen war sie wieder verschwunden.
Diese Frau wurde der Funken, an dem sich die Geschichte von "Rodeo" entzündete. Im Film wird sie zur wilden, wütenden und ungestümen Julia (Julie Ledru). Völlig mittellos muss sie sich etwas einfallen lassen, um an ein Bike zu kommen. Am Anfang des Films sieht man, wie sie sich notdürftig herrichtet, um beim Gespräch mit dem Verkäufer eines Bikes einen respektablen Eindruck zu machen. Der ist sehr misstrauisch und vorsichtig, will ihre sein Motorrad auf keinen Fall zur Testfahrt überlassen. Als Sicherheit hinterlässt sie ihre Handtasche, angeblich mit Papieren, Handy und Schlüsseln, in Wirklichkeit mit Kieselsteinen gefüllt.
"Nur keine Bange! Ich fahr' schon Motorrad, solange ich lebe!", ruft sie noch und braust unter lautem Motorradgeheul davon.
Pulsierende Energie
Gespielt wird diese Julia von Julie Ledru, die keine Schauspielerin ist, sondern wie die meisten anderen Darsteller aus der Biker-Szene stammt. Sie bringen Authentizität und Unmittelbarkeit mit, die zum Teil fast dokumentarisch wirken, zugleich aber auch fiktiv zugespitzt und überhöht. Julie Ledru wird dabei zum pulsierenden Herz des Films, der ihre volatile Energie aufnimmt. Ständig ist sie unter Strom, wodurch ihre ganze Existenz gleich einer Naturgewalt eine mitreißende Dringlichkeit bekommt.
Mit Freundlichkeit hält sich Julia nicht auf - beispielsweise, wenn sie mit ihrem geklauten Bike am Rand von Bordeaux auftaucht und einen der Jungs um ein bisschen Benzin für die nächsten Runden anhaut: "Sei kein Wichser, Mann! Ich brauch' das Scheißbenzin, alle haben hier Benzin, ich bin die Einzige ohne."
Auch wenn das keine Charme-Offensive ist, wirkt Julia in ihrer Unbedingtheit absolut faszinierend. Was Julie Ledru mit schiefen Zähnen und struppigen Haaren an Schönheit fehlt, macht sie mit ungeheurem Freiheitsdran und einer explosiven Energie und Lebenslust wett. Faszinierend ist sie schon durch ihre Widersprüche, die sie in gewisser Weise zum Alter Ego der Regisseurin machen, die sich als Transfeministin und nonbinäre Persönlichkeit ähnlich fluide zwischen den Welten bewegt.

Fluide Existenz
Statt eine klassische Geschichte zu erzählen, ist "Rodeo" eher eine Momentaufnahme dieser Szene und zugleich das Porträt einer außergewöhnlichen Frau, die sich in der Männerwelt von Tempo und Benzingeruch behauptet und damit auch zu einem zeitgemäßen Ausdruck der fortschreitenden Gleichberechtigung wird.
In der Szene wird Julia erst mal misstrauisch beäugt und rüde angefeindet. Ähnlich wie sie verdienen sich auch die Jungs ihr Geld mit Raubzügen und Hehlergeschäften. Als Julia ihre geklaute Maschine anbringt, wird sie zur Konkurrentin um die Gunst des Bosses, der die Geschäfte aus dem Gefängnis heraus leitet, steigt aber auch augenblicklich im Ansehen der Jungs. Und dann schlägt sie einen waghalsigen Raubzug vor: Ihr ist ein riesiger Laster aufgefallen, der in ihrem Kiez steht, voll mit hochpreisigen Motorrädern. Vom Biker-Film wird "Rodeo" da zu einer Art Heist-Movie mit spektakulären Actionszenen und Anklängen an die "Fast and Furious"-Filme - aber nur kurz, denn vor allem geht es Lola Quivoron darum, dieses unbändige Lebensgefühl einzufangen, das sich von gesellschaftlichen Normen und Kategorien nicht einschränken lässt. Ein bisschen so wie vor gut 50 Jahren die "Easy Rider" auf ihren Harley Davidsons.
Anke Sterneborg, rbbKultur