Drama - "Black Box"
Geboren wurde die Regisseurin Asli Özge in Istanbul, wo sie auch die Filmschule absolvierte. Seit 2000 lebt und filmt sie in Berlin. 2016 hat sie mit "Auf einmal" zum ersten Mal in deutscher Sprache gedreht. Nach der in Belgien gedrehten Miniserie "Dunkelstadt" folgt jetzt ihr zweiter deutschsprachiger Film: "Black Box" - prominent besetzt mit einem illustren Ensemble. Die titelgebende "Black Box" ist ein Berliner Mietshaus mit dem dazugehörigen Hinterhof: Ein volatiler Mikrokosmos unterschiedlicher Bewohner - eine Metapher für die zerrissene deutsche Gesellschaft.

Alles beginnt mit dem Rumms, mit dem ein großer Container von oben durch die Lüfte mitten in einem Altberliner Hinterhof platziert wird. Von hier aus residiert künftig als Vertreter der Hausverwaltung Herr Horn. Im Container sitzt er zwar hinter großen gläsernen Fenstern, ist aber alles andere als leicht durchschaubar.
Felix Kramer, der zwischen der rbb-Serie "Warten auf’n Bus" und Emily Atefs Literaturverfilmung "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" eine große Bandbreite gezeigt hat, wirkt hier zunächst höflich und entgegenkommend, zeigt jedoch bald eine jovial unterfütterte Härte.
Kleine Ärgernisse
Das zweite, noch eher alltägliche Ärgernis, sind die Mülltonnen, die über den unebenen Boden des Hinterhofs rumpeln. Während manche Mieter gute Miene zum bösen Spiel machen, wehren sich andere entschieden, so wie der von Christian Berkel gespielte Lehrer Erik Behr, der Herrn Horn empört zur Rede stellt: "Das ist eine Schande - unter meinem Fenster! Ich kann nicht mal mehr das Fenster aufmachen wegen der Fliegen. Und dann der Gestank!"
Die Unterstellung, er habe ein Ei auf den Herrn von der Hausverwaltung geworfen, weist er entrüstet zurück und das einfache "Herr Behr" korrigiert er ruppig: "Herr Doktor Behr, bitte!"
Fein austariertes Spiel mit Stimmlagen
Es ist ein Vergnügen, dieses feinaustarierte Spiel mit Gestik, Mimik und Stimmmodulation zu beobachten, in dem das Nichtgesagte mindestens so wichtig ist wie das Ausgesprochene. Aus offen ausgetragenen oder auch nur unterschwellig durchsickernden Feindseligkeiten entwickelt sich ein nachbarschaftlicher Kleinkrieg. Ein illustres Schauspielerensemble lässt sich Bösartigkeiten und Schmeicheleien, diskriminierende Beleidigungen und Angriffe in vielen Nuancen auf der Zunge zergehen.
"Black Box" ist ein Kammerspiel, das sich vom Hof in die Wohnungen, über das Dach und bis in den Keller ausbreitet.

Belagerung im Hinterhof
Zur Kriegsfront wird der Hinterhof, als vermummte Polizisten anrücken, die Straße absperren und die irritierten Bewohner auffordern, das Haus nicht zu verlassen und in die Wohnungen zurückzukehren. Aus Sicherheitsgründen werden keine Informationen herausgegeben. Wie lange das Ganze dauert, ist ungewiss.
Der Alltagsrassismus wird zur Frage der nationalen Sicherheit hochgejuxt: "Es gibt einen Hinweis, Problemwohnung, die Mieterin, Iranerin, ich spreche von Aktivitäten in Wohnungen, die uns nicht gehören …"
Die Stimme von Felix Kramers Herrn Horn klingt sanft während er Gerüchte streut, seine Sätze sind gespickt mit Trigger-Worten, zu denen jeder sofort Bilder, Ängste und Verdachtsmomente im Kopf hat. Gezielt sät er Zwietracht und Misstrauen unter den Mietern, spielt sie gegeneinander aus, fordert sie zur gegenseitigen Denunziation auf, um seine Interessen zu fördern: Das Gespenst der Gentrifizierung geht um - Entmietung, Luxussanierung - man kennt das aus Berlin, und nicht nur von dort. Gilt das Haus erstmal als unbewohnbar, hat der Investor freie Hand ...

Der Hinterhof als Metapher für die Gesellschaft
Vieles klingt hier an, Gewissheiten gibt es wenige in der volatilen Stimmung im Hof, die Aslı Özge als Türkin mit dem besonders genauen Blick zwischen Innensicht und Außenwahrnehmung betrachtet.
"Es geht um das zerfallende Gemeinschaftsgefühl und wie die Struktur der Demokratie zersetzt wird", hat sie bei der Premiere des Films auf dem Münchner Filmfest gesagt: "Das Haus ist der Mikrokosmos eines Landes: Es gibt den Besitzer, der regiert, ein Führer sozusagen, und dann gibt es die Bewohner - manche sind links, manche konservativ, es gibt auch Immigranten, Ausländer, viele verschiedene Kulturen und auch Religionen leben zusammen. Ich wollte ein Bild von unserer Gesellschaft darstellen, eine Metapher für ein ganzes Land."
Anke Sterneborg, rbbKultur