Deep Sea © LEONINE Studios
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Animationsfilm - "Deep Sea"

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"Monkey King – Hero is back", der erste Film des chinesischen Regisseurs Tian Xiaopeng, ist bis heute einer der erfolgreichsten Animationsfilme in China. Sein zweiter Film "Deep Sea", der auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion "Generation" lief, erzählt die Geschichte eines Kindes, das beunruhigende Ereignisse mittels Fantasie verarbeitet. Am Donnerstag kommt das Unterwasserabenteuer in unsere Kinos. Leider hat der Verleih sich entschieden, ihn nicht wie auf der Berlinale in 3D, sondern ausschließlich in 2D zu zeigen.

Im Grunde erzählt "Deep Sea" eine ganz einfache Geschichte, wie sie unzählige Kinder auf der ganzen Welt immer wieder schmerzlich erleben: Nach der Trennung ihrer Eltern, ist die Mutter aus Shenxius Leben verschwunden.

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Imaginäre Gespräche mit der abwesenden Mutter

Und weil der Vater mit einer neuen Frau und dem gemeinsamen kleinen Jungen beschäftigt ist, fühlt sie sich ausgeschlossen, stromert allein auf dem Deck eines Kreuzfahrtschiffes herum und führt imaginäre Gespräche mit der abwesenden Mutter:

"Als ich kleiner war, hast Du mir eine Geschichte über das Meer erzählt. Du hast gesagt, eines Tages würdest Du am Meer wohnen. Kannst Du jetzt genau wie ich aufs Meer sehen, Mama?"

Anders als die kulleräugigen Comic-Figuren in vielen asiatischen Animationen hat Shenxiu große Ähnlichkeiten mit einem echten Mädchen.

Personifizierte Gefühle

Irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit wird Shengxiu dann im Sturm über Bord geschleudert. Als sie zu Bewusstsein kommt, hängt sie mitten im tosenden Meer an einem gelben Entchen-Rettungsring. Im Innern des Rings taucht ein merkwürdiges Wesen auf, das komplett aus schwarzen Nudelschlingen besteht, mehrere große weiße Augenkugeln bewegen sich wie Fleischbälle in dem Spaghettiknäuel-Körper - und das ist nur die erste und noch recht einfache von vielen beeindruckenden Bildfindungen.

Das Wesen kuschelt sich freundschaftlich verspielt, gurrend und blubbernd an Shenxiu. Könnte das eines der geheimnisvollen "Hijinxs" sein, die den Weg zu ihrer Mutter kennen? Doch wenn Shenxiu Angst bekommt, wird es bedrohlich groß und überwältigend, ähnlich wie das rote Phantom, das ebenfalls in symbiotischer Verbindung mit ihrer Gefühlswelt steht. Es ist sozusagen das materialisierte Unglück, das einer Depression gleich wie eine leuchtend rote Flechte an ihr andockt, sich wie ein Pilzsystem in ihrer ganzen Umgebung ausbreitet, alles überwuchert und zu ersticken droht.

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Rauschhafter Trip in parallele Wasserwelten

Shenxiu landet in der Parallelwelt eines geheimnisvollen Tiefseerestaurants, in dem vermenschlichte Walrösser das Personal stellen und die bizarrsten Gerichte serviert werden. Spätestens jetzt erinnert der Film an Hayao Miyazakis "Schloss im Himmel", doch die computergenerierten Bilder sind weniger poetisch fein, sondern rauschhaft, mitreißend, überwältigend und immer wieder fast psychedelisch, mit irrwitzigen Formen, in denen farbenprächtige Fische und Quallen zu abstrakten Strudeln werden, mit Anklängen an den Impressionismus von van Gogh und Monet. Immer wieder fransen die Konturen aus, wie die Farben von chinesischen Tuschezeichnungen auf rauem Papier. Es sind im Computer entstandene Bilder, die so noch nie zu sehen waren. Überwältigend schön - aber man hat auch immer wieder das Gefühl, es sind Bilder für fünf Filme, so dicht und kurzatmig geschnitten prasseln sie auf einen ein.

Sorgen und Träume

Im Restaurant lernt Shenxiu den Besitzer Nanhe kennen, einen jungen launischen Mann, der mal attraktiv und leidenschaftlich auftritt, dann wieder mal feindselig und unheimlich als bedrohlicher Clown mit grinsender Fratze. Aber auch fürsorglich und ermunternd kann er sein, wenn Shenxiu Sehnsucht nach ihrer Mutter hat, von der sie sich verlassen fühlt: "Ich versprech‘ Dir: wir finden deine Mama. Mach Dir bloß keine Sorgen!"

Übersprudelnd erzählt er von seinen Plänen mit dem Restaurant: "Wenn ich erst reich bin, dann verpass' ich dem Tiefseerestaurant ein neues Gesicht. Du wirst sehen: Ich baue ein 360-Grad Panorama-Restaurant, darin kannst Du die Sterne sehen. Man kann alles bestellen, was man will, und dann baue ich einen Freizeitpark mit einer mindestens 100 Meter langen Wasserrutsche!"

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Eine chinesische Alice im Wunderland

In der echten Welt würde man Nanhe wohl als bipolar diagnostizieren, doch im Grunde ist er genauso verloren wie Shenxiu:

"Ich werde nie mehr gemobbt oder gehänselt und Du musst nicht mehr so tun, als wärst Du erwachsen", verspricht er ihr. "Wenn Du nicht lächeln willst, dann lächelst Du eben nicht. Und wenn Du heulen willst, dann heulst Du los. Wenn dieser Tag kommt, müssen wir es nicht mehr allen anderen rechtmachen. Dann müssen wir nicht mehr für andere leben."

So wie einst Dorothy im Land des "Zauberers von Oz" oder "Alice im Wunderland" erlebt auch Shenxiu in der fantastischen Parallelwelt im Tiefseerestaurant atemraubende Abenteuer, die ihr auch bei der Bewältigung realer Ängste helfen werden.

Anke Sterneborg, rbbKultur

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Nezha Bros. Pictures Company Limited, Beijing Modern Sky Culture Development Co., Ltd

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