Drama - "Forever Young"
Bekannt ist die Franco-Italienerin Valeria Bruni Tedeschi vor allem als Schauspielerin, unter anderem arbeitete sie mit Größen wie Bertrand Blier, Claude Chabrol oder François Ozon zusammen. 2003 gab sie mit "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr ..." ihr Regiedebüt, in dem sie ihr eigenes privilegiertes Leben als Industriellentochter aufs Korn nimmt. Auch in ihrem neuesten Film "Forever Young" reflektiert sie wieder persönliche Erlebnisse.
"Forever Young" ist eine barrierefreie Reise ins Paris der späten 80er Jahre, in die Lehr- und Jugendzeit von Valeria Bruni Tedeschi. Eine Zeit, in der die Gefühle überwältigend und überschäumend sind, Höhenflug und Höllensturz in schnellem Wechsel ganz intensiv aufeinanderfolgen.
Zwischen Höhenflug und Höllensturz
Es geht um die schauspielerischen Lehrjahre auf dem Théâtre des Amandiers von Patrice Chéreau - im Original heißt der Film "Les Amandiers". Das zu übernehmen, hat sich der deutsche Verleih wohl nicht getraut, weil das berühmte französische Theater hierzulande nicht ganz so bekannt ist, darum der etwas unglücklich englische Titel "Forever Young", der es zumindest inhaltlich gut trifft.
Das flirrende Gefühl des Jungseins
Mitten hinein in den Alltag junger Schauspieler:innen geht, in eine Vorsprech-Szene auf der Bühne des Theatre des Amandiers, Stella. Eine junge Schauspielerin, die man sich als Alter Ego von Valeria Bruni Tedeschi vorstellen kann, die sich inbrünstig die Seele aus dem Leib spielt.

Sofort spürt man, wie hauchdünn hier die Grenze zwischen Leben und Spielen, Realität und Fiktion ist, was den Film von Anfang an mitreißend macht. Die jungen Schauspieler:innen werfen sich ohne Netz und doppelten Boden ins Leben wie ins Spielen, entblößen sich rückhaltlos, testen in der Realität Posen und Gesten aus, um anschließend ihre Gefühle nahezu ungefiltert auf der Bühne zu offenbaren.
Die wenigen, die es dann tatsächlich schaffen, auf der von Patrice Chéreau gegründeten Schauspielschule aufgenommen zu werden, dürfen erst mal nach New York fliegen, wo sie zu dem Janis Joplins-Song "Me and Bobby McGee" vor den Toren des berühmten Lee Strasberg Institutes staunen und schwärmen.
Auf sehr unmittelbare Weise fängt Bruni Tedeschi das flirrende Gefühl des Jungseins und die Euphorie des Spielens ein, durchaus in der Tradition der französischen Nouvelle Vague.

Hommage an Patrice Chéreau
Besetzt ist "Forever Young" mit lauter jungen, hungrigen, noch nicht so bekannten Schauspieler:innen. Der einzige französische und auch internationale Star ist Louis Garrel als Patrice Chéreau, wobei er dem berühmten, bereits 2013 verstorbenen Theaterleiter und Regisseur nicht sonderlich ähnlich sieht. Am Anfang des Films gibt es eine Szene, in der man ihn nur von hinten auf einer Leiter stehend beim Auswechseln einer Birne sieht. Auch das wäre möglich gewesen: ihn sozusagen nur als Leerstelle zu zeigen, gespiegelt in der Ehrfurcht der Student:innen, im Ruf, der ihm vorauseilt.
Aber für die Valeria Bruni Tedeschi ist dieser Film vor allem eine Hommage an Chéreau, den sie als ihren künstlerischen "Vater" bezeichnet. Allerdings kommt er im Film manchmal gar nicht so gut weg, wirkt immer wieder wie das klassische Künstlergenie, dessen Verhalten - zumindest aus heutiger Perspektive - an Machtmissbrauch grenzt. Beispielsweise, wenn er eine Probe von Tschechows frühem Stück "Platonow" harsch unterbricht, um einen nach dem anderen lautstark zur Schnecke zu machen: Zehn Tage vor der Premiere sei alles noch völlig unpräzise, Gefühle seien nicht zu spüren, und wie es sein könne, dass er nicht wisse, dass der Roulettetisch kaputt sei!?

Zeitreise ins Paris der späten 80er Jahre
"Forever Young" wirft keinen nostalgisch verklärenden Blick zurück in die Jugend. Stattdessen ist der Film eine Zeitreise, die auch den Zuschauer ganz ungefiltert und direkt mitten hinein in diese Momentaufnahme katapultiert - ohne relativierenden Filter und einordnende Bewertung. Das heißt auch, dass sich Valeria Bruni Tedeschi schützend vor einen ihrer jungen Hauptdarsteller - Sofiane Bennacer - stellt, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden.
Das ändert nichts daran, dass dieser wunderbare Film eine flirrende Feier des jugendlichen Lebensgefühls ist und eine Hommage an den großen Patrice Chéreau, an sein Streben nach Gegenwärtigkeit und Wahrhaftigkeit und damit auf einem sehr schmalen Grat zwischen Realität und Fiktion auch eine Auseinandersetzung mit dem Schauspielberuf.
Anke Sterneborg, rbbKultur