Dokumentation - "Auf der Adamant"
Auf der diesjährigen Berlinale hat der Dokumentarfilm "Auf der Adamant" des französischen Regisseurs Nicolas Philibert den Goldenen Bären gewonnen. "Sind Sie verrückt?", fragte Philibert die Jury-Präsidentin Kristen Stewart bei der Preisverleihung, denn ein Dokumentarfilm als Preisträger ist ungewöhnlich. Die Frage hatte aber auch noch einen anderen Hintergrund. Der Film ist der zweite Teil einer Trilogie, die Philibert über den Zentralen Psychiatrischen Verbund von Paris gedreht hat. Denn die Adamant ist eine schwimmende Tagesklinik auf der Seine.
Paris erwacht. Am Ufer der Seine kehren die Straßenfeger das Pflaster. Die "Adamant" öffnet ihre Fensterluken. "Adamant" – das heißt so viel wie hart und unverwüstlich. Von außen sieht das Schiff aus wie eine hölzerne Festung. Innen aber wirken die holzgetäfelten Räume gediegen und gemütlich wie auf einem alten Segelschiff.

Schwimmende Tagesklinik für psychisch Kranke
Die "Adamant" wurde 2010 als Tagesklinik für psychisch Kranke gebaut. Auf 650 Quadratmetern gibt es Werkstätten zum Malen, Schreiben, Nähen, Fotografieren. Außerdem eine Bibliothek und ein Café. Die Kamera beobachtet von oben, wie sich ein Mann mit gekrümmten Schultern dem Schiff nähert, erst macht er einen großen Bogen, dann biegt er direkt zum Steg ab. Unter dem Arm trägt er eine Rolle mit Leinwänden. Fréderic ist Künstler und Intellektueller.

Was ist Realität, was ist Fantasie?
Was ist Realität, was ist Fantasie? Das fragt man sich immer wieder in diesem Film, der Poesie und Realismus miteinander verbindet. Der Boden schwankt. Das Schiff dümpelt auf der Seine, ist aber fest vertäut. Der Regisseur Nicolas Philibert hört zu, fragt nach, will die innere Welt der Menschen auf der Adamant verstehen lernen. Sieben Monate hat er zusammen mit der Psychologin Linda de Zitter an Deck gedreht, hat hundert Stunden Material aufgenommen. In der Verdichtung entstehen faszinierende Facetten von unterschiedlichen Wahrnehmungen.
"Was sagen ihre Stimmen?", fragt ein Mitarbeiter aus dem Team einen Besucher. "Das darf ich nicht sagen", antwortet der Patient. "Die Stimmen kontern, wenn ich etwas sage. Ich darf nicht drüber reden, die kontern krass. Und wie! Wasch Dich, du bist schmutzig."
Der Regisseur simuliert keine Therapiesitzungen. Er will nicht wissen, warum jemand auf die "Adamant" kommt. Aber er will wissen, warum zum Bespiel der junge Mann Ketten aus Kristall um seinen Hals trägt, und er bekommt die Erklärung:
"Die Kristallbänder fangen die Schwingungen auf und sperren sie ein. Das sind auch gute Sender von positiver Energie. Mein Magnet blockiert die Schwingungen. Er fängt die Schwingungen auf und blockiert sie. Der Magnet macht einen großen Unterschied."
Schmerz, Wahnsinn, Einsamkeit
Der Film ist charmant, manchmal witzig, aber die gefährliche Unterströmung unter all diesen Erzählungen blinkt immer wieder auf: ein großer Schmerz. Wahnsinn macht einsam, sagt eine Besucherin der "Adamant". Und François erzählt eine bittere Geschichte. Er ist der Sohn des Regisseurs Gérard Gozlan. Sein Vater war sein Vorbild:
"Ich wäre gern wie er gewesen. Ihm ähnlich gewesen. Ich habe einmal zu ihm gesagt: 'Papa, außer mir ist Dir alles gelungen.' Er sagte: 'Hör auf, gleich weint Deine Mutter wieder!'. Sie hat auch geweint, ist wahr."

Die Krankheit schreibt sich körperlich ein. An den wilden Augen, dem ausgezehrten Gesicht, kann man die Gewalt erkennen, die François im Griff hat. Gespräche, sagt er, sind nicht so wichtig. Ohne Medikamente würde er in die Seine springen:
"Ich bin krank. Immer noch. Ohne starke Medikamente raste ich aus. Nur so kann ich mit Ihnen reden. Sonst halte ich mich für Jesus. Mit Vöglein um mich herum, hoch im Himmel. Medikamente sind wichtiger als jedes Gespräch. Es heißt immer: Reden hilft. Erst die Behandlung, dann das Gespräch."
Viele Welten
Die "Adamant", diese gemütliche hölzerne Trutzburg, bietet den Seelen Schutz vor sich selbst. Man bewundert die freundliche Sachlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dem Aufenthalt auf dem Schiff einen professionellen Rahmen verleihen. Und man bewundert die milde Wissbegier von Nicolas Philibert. Er nimmt die vielen Welten ernst, die sich auf der "Adamant" eröffnen. Und er lässt sie bestehen wie sie sind.
Simone Reber, rbbKultur