Berlinische Galerie - "Sibylle Bergemann. Stadt Land Hund"
Sie war eine der bedeutendsten Fotografinnen der DDR und konnte ihre subjektive Sicht auf die Welt auch nach der Wende international publizieren: Sibylle Bergemann, geboren 1941 in Berlin, 1990 Mitgründerin der Foto-Agentur Ostkreuz, gestorben 2010 mit 69 Jahren. Die Berlinische Galerie widmet ihr jetzt eine große Retrospektive - mit fast 200 Fotografien aus der Zeit von den 1960ern bis zum Jahr ihres Todes.
Zerschlagene Fensterscheiben eines Berliner Altbaus, Bullaugen in Warnemünde, geraffte Gardinen im Fenster der Eremitage in Leningrad, beschlagene Scheiben in der Hannoverschen Straße in Ostberlin: Fenster von außen, Fenster von innen – Sibylle Bergemanns Porträts der besonderen Art stammen aus den 1960er Jahren.
Balance zwischen Nähe und Distanz
Katia Reich, die Leiterin der fotografischen Sammlung der Berlinischen Galerie:
"Wir beginnen mit einer sehr frühen Werkgruppe 'Fenster', die auch bekannt ist, sie sagte: 'Eigentlich hab' ich mich nicht getraut, Menschen zu fotografieren und das sind im Prinzip ja auch Menschen.'"
Trotz ihrer Scheu, Menschen zu fotografieren, hat Sibylle Bergemann genau das später getan: Ihre gelungene Balance zwischen Nähe und Distanz wird in allen hier präsentierten Themenbereichen deutlich: Berlin, Frauen, Modefotografie, Reisen nach New York, Paris, Venedig, schon zu DDR Zeiten, später auch nach Afrika.
Sibylle Bergemann im Jahr 2006: "Mich interessiert alles, was mit Menschen zu tun hat - einmal die Menschen selbst und auch die Dinge, mit denen sie sich umgeben. Ich finde, das gehört zusammen."
"Die aktuelle Fotografin war ich nie, möchte ich auch nicht. Nach der Wende gab‘s natürlich auch Sachen, die ich halb oder weniger aktuell auch gemacht habe - aber es ist nicht mein Job", so die Fotografin 2004.
Meisterin der Atmosphäre
Lieber nahm sie sich Zeit, um in ihrem Stil zu arbeiten: Die Serie "Clärchens Ballhaus" entstand in den 1970er Jahren: Als stille Beobachterin hält sie fest: Tanzpaare, einsame Herzen, Suchende in schummrigem Ambiente. Mit ihrer gleichermaßen subjektiven wie subtilen Fotografie war Sibylle Bergemann eine Meisterin darin, vor allem die Atmosphäre ins Bild zu setzen. Und immer bleibt da ein Geheimnis.
Berlinische Galerie: Sibylle Bergemann. Stadt Land Hund. Fotografien 1966 – 2010
Katia Reich: "Sie hat ja sehr früh für den 'Sonntag' veröffentlicht, sie war befreundet mit der Journalistin Jutta Voigt und gemeinsam haben sie sicher einige Veröffentlichungen bewegt. Die Serie 'Clärchens Ballhaus' wurde auch im 'Sonntag' veröffentlicht, der die Tradition der literarischen Reportage pflegte."
Ironische Symbolik
Die Serie über das Marx-Engels-Denkmal, eine Auftragsarbeit für das DDR-Kulturministerium, kommt jetzt in die Sammlung der Berlinischen Galerie. Elf Jahre lang begleitet Sibylle Bergemann von 1975 an mit ihrer Kamera das Projekt für das Forum am Berliner Alexanderplatz. Von der Insel Usedom mussten die monumentalen Bronze-Statuen des Bildhauers Ludwig Engelhardt transportiert werden. Die Körper der Philosophen: kopflos, von Drahtseilen eingeschnürt, über ihnen ziehen – wie auf einem surrealen Bild von Magritte – schwere Wolken am Himmel.
Auf einem anderen Foto der Serie sind die Augen mit Lappen verbunden: Im Nachhinein vermitteln diese Fotos eine fast ironische Symbolik. Im Jahr 2006 kommentierte Sibylle Bergemann das so:
"Ich habe nur fotografiert, was ich da gesehen habe - und das Komische, das da reinkommt, das kommt daher, dass man weiß, das sind Marx und Engels und die haben jetzt Scheuerlappen auf‘m Kopf - das ist ja, damit der Ton oder Gips nicht austrocknet. Ludwig Engelhard und ich - wir haben natürlich oft gelacht, ich wollte dem nie irgendwas Böses oder wollte mich nie über seine Arbeit lustig machen. Das sind einfach die Arbeitsvorgänge. In so einer knappen Auswahl ist es natürlich etwas überspitzt."
Verboten wurden Bergemanns Bilder in der DDR nie - nur gelegentlich nicht gedruckt
In der Berlinischen Galerie sind jetzt auch die berühmten Mode-Fotos zu sehen, veröffentlicht in der Zeitschrift "Sibylle", für die Bergemann zwischen 1970 und 1995 gearbeitet hat: streng oder ernst blickende Frauen in avantgardistisch- aggressiv anmutender Kleidung, entworfen von der Künstlerinnengruppe Allerleirauh. Die Models stehen vor Industrieruinen, vor rauchenden Schloten, blicken ernst oder streng in die Kamera. Verboten wurden Bergemanns Bilder in der DDR nie, nur gelegentlich nicht gedruckt, meinte lakonisch die Urheberin.
Sie durfte auch reisen. Mit ihrem Mann, dem Fotografen Arno Fischer, war sie in New York, wo sie in der Art der amerikanischen Street-Photography Passanten fotografierte.
Atem raubend bis heute: Die großformatigen Farb-Aufnahmen aus Afrika. Die bunten Gewänder korrespondieren mit den Farben der Fassaden, mit dem Meer und mit dem Himmel. Poesie pur und fast wie impressionistische Malerei.
Nachlass einer stillen, zurückhaltenden und zugleich sehr eigenwilligen Künstlerin
Die in der Berlinischen Galerie präsentierten Fotos stammen alle aus dem Nachlass Sibylle Bergemanns: Frieda und Lily von Wild, die Tochter und die Enkelin der Fotografin, hüten den Schatz, ein paar Tausend Filme. Und sie sorgen dafür – in gelungener Kooperation mit der Berlinischen Galerie – dass die stille, zurückhaltende und zugleich sehr eigenwillige Künstlerin im Gedächtnis der Öffentlichkeit weiterlebt.
Michaela Gericke, rbbKultur