Louise Bourgeois: The Good Mother (Detail), 2003 © The Easton Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2021 | Foto: Christopher Burke
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Gropius Bau - "Louise Bourgeois: The Woven Child"

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Geboren in Paris, verbrachte Louise Bourgeois die längste Zeit ihres Lebens in New York, wo sie 2010, fast 100-jährig, starb. Der Gropius Bau in Berlin zeigt jetzt ausschließlich textile Arbeiten der Künstlerin – Objekte, Installationen, Bilder, die in ihrer letzten Lebensphase entstanden.

Es war eine späte, aber umso steilere Karriere: Louise Bourgeois' künstlerisches Schaffen umfasst zwar rund sieben Jahrzehnte, aber als der internationale Erfolg einsetzte, war sie bereits eine alte Dame. Dass sie rasch zu einer Ikone des Feminismus erhoben wurde, liegt mutmaßlich weniger an ihren Themen, als an der weiblichen Perspektive, die die Künstlerin explizit wählte und mit ihrer Biografie verband.

Die Biografie als Fundus

Ausführlich erzählte sie von ihrer unheilvollen Kindheit in Frankreich, mit einem Vater, der seine Ehefrau jahrelang mit dem Kindermädchen betrog und die Tochter demütigte, die allein bei der Mutter Schutz fand. In den späten, oft monumentalen Bronzen von Spinnen setzte sie ihr Denkmäler: Die Spinne als Mutter - eine Weberin, die immerzu geduldig repariert. Die Verstrickung in diese familiäre Konstellation klingt im Ausstellungstitel "The Woven Child" – "Das gewebte Kind" – ebenso an wie das textile Leitmotiv, der früh geübte Umgang mit Nadel und Faden in der elterlichen Tapisserie-Werkstatt.

Stoff für Erinnerungen

Was sieht man, wenn man all dies nicht weiß? Köpfe, die wie Blasen aus kleinen Hälsen wachsen, genäht aus einfarbigen oder gemusterten Stoffen, die einem Kopf mitunter mehrere Gesicht geben. Louise Bourgeois' Arbeiten eröffnen immer einen großen Assoziationsraum – besonders eindringlich im Falle ihrer textilen Arbeiten, die mal wie Fetische, mal wie Puppen daherkommen, die an Kindheit und Tod denken lassen, an Spiel ebenso wie an Voodoo-Kult. Und tatsächlich sollten sie ihre Kindheitserinnerungen wohl bannen.

Die Verwendung von Kleidungsstücken – geblümten Sommerkleidern etwa, die in Bourgeois' sogenannten "Zellen" wie in Käfigen oder überdimensionierten Volièren drapiert sind – dürfte aber den meisten vertraut sein, eine Verbindung schaffen. Ebenso Stoffe wie Frottee: Jede(r) weiß, wie sich das anfühlt. Oder ein Strickstoff, den Louise Bourgeois nutzte, um kleine bis lebensgroße Figuren daraus zu nähen: Fleischfarben oder schwarz, wie das "Paar", das kopflos, kopulierend in einer monumentalen Vitrine liegt. Die weiche Körperlichkeit, die Puppenhaftigkeit dieser Plastiken macht sie mehr zu Einfühlungs- als zu Anschauungsobjekten.

Nicht von ungefähr erinnern viele von ihnen - mit Brüsten behängt oder phallischen Formen, mit ihren überdeutlichen Anspielungen auf Traum und Unterbewusstsein – an Werke des Surrealismus.

Wiederkehrende Bildformeln

Rückbezüge gibt es aber auch zum eigenen Werk der Künstlerin. So tauchen Motive wie die Spinne oder "Femme Maison" – eine Verknüpfung von Frau und Haus – bereits in Zeichnungen oder Gemälden Bourgeois' aus den 1940er Jahren auf. In ihren späten Textilarbeiten dagegen erscheint der weibliche Torso einer "Femme Maison" zum Beispiel als helles Plüsch-Kissen, aus dem ein spielzeug-großes Häuschen herauswächst.

Es sind solche Bildformeln, die den individuellen Kosmos dieser Künstlerin bilden, in denen Kleider zu Stellvertretern werden und Stoffe zu Körpern, und die erstaunlich vielgestaltig auftreten. Immer wieder begegnet man etwa dem Motiv des Spinnennetzes – und erkennt es schließlich auch in den scheinbar abstrakten Patchwork-Bildern, die Bourgeois aus gemusterten Stoffen nähte.

Mit erstaunlichem Erfindungsreichtaum gelang es ihr, diesen Motiven immer wieder eine neuartige Gestalt zu verleihen. Das gilt u.a. auch für die sogenannten "Progressions": Schlanke, nach oben hin sich verjüngende "Türme" aus Stoff-Kuben oder -"Würsten", die eine enge Verwandschaft aufweisen mit den sogenannten "Personnages", die Louise Bourgeois ebenfalls in den 40er Jahren schon als "Gegenüber" der Besucher aus dem Boden einer Galerie wachsen ließ.

So webt diese Ausstellung selbst ein Netz aus Bezügen innerhalb des Werks von Louise Bourgeois, macht deutlich, dass diese ebenso spielerischen wie eindringlichen textilen Arbeiten, die sie in ihrer letzten Lebensphase schuf, alles andere als ein nachgereichtes Alterswerk sind.

Silke Hennig, rbbKultur

Bildergalerie

Gropius Bau: Louise Bourgeois - "The Woven Child"