Deutsches Historisches Museum - "Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland"
"Fortschritt als Versprechen": Die neue Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin zeigt Industriefotografie im geteilten Deutschland. Vom Kohleflöz über Stahlwerke bis hin zu Modenschauen in der Chemiefabrik zeigt das DHM fotografische Arbeiten, die zwischen 1949 und 1990 entstanden sind – in Zeiten der Deutschen Teilung.
Es ist ein Moment voller Kraft, Präzision, und Schönheit: Ein goldgelber Brocken aus Stahl, unglaubliche 435 Tonnen schwer, gehalten von einer übergroßen schwarzen Kette, hängt glühend im Stahlwerk Hattingen. Damals, 1984, war dies der größte in Europa bearbeitete Schmiedeblock. Eine Generatorwelle für ein Atomkraftwerk.
Glühender Stahl als Versprechen
Die Arbeiter daneben im Bild, vermummt in dicken silbernen Hitze-Schutzanzügen, wirken dagegen wie winzige Spielzeug-Figuren: Sie dienen einem höheren Zweck. Das Bild von Karl-Heinz Kämmner hängt überlebensgroß im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums. Der glühende Stahl steht hier für die Errungenschaften der modernen Welt.
"Fortschritt als Versprechen" – so lautet der Titel der Ausstellung, der hier ganz konkret umgesetzt ist. Laut Kuratorin Carola Jüllig weist der Fortschritt, der hier gezeigt wird, auf ein besseres Leben hin, menschenwürdige Arbeit, Gleichheit, Wohlstand, Konsum.
Osten oder Westen?
Das DHM zeigt die neue Ausstellung auf zwei Etagen. Über 500 Bilder aus 40 unterschiedlichen Archiven beleuchten die ganze Bandbreite der Industriefotografie: unterteilt in thematische Räume wie etwa Kohlebergbau, Stahl-, Auto- oder Chemieindustrie. Die Bildsprache ähnelt sich sehr, in Ost wie West: Werkhallen oder Industrie-Anlagen haben in beiden Deutschen Staaten ähnliche Funktionen und Gestaltungen. Nur der Fokus ist jeweils ein anderer. Industrie-Fotografie ist Gebrauchsfotografie: Die Fotos erschienen in Hochglanz-Broschüren der Firmen und in Geschäftsberichten im Westen. Im Osten Deutschlands auch in Spezial-Zeitschriften mit Titeln wie "Wartburg-Signale" oder "Der Motor".
Im Osten sollte natürlich auch das Bild einer dynamisch funktionierenden Wirtschaft vermittelt werden. Aber darüber hinaus gab es die Tradition der Arbeiterfotografie. Porträts von adrett gekleideten Arbeiterinnen und Arbeitern an ihrem Arbeitsplatz spielten in der DDR eine große Rolle in der öffentlichen Darstellung. Im selbst ernannten "Arbeiter- und Bauernstaat" DDR sollten Arbeiter Helden sein, sagt auch Co- Kuratorin Stefanie Dietzel vom DHM. In Reportagen in Illustrierten Zeitschriften der DDR gäbe es immer wieder Porträts einzelner Arbeiterinnen bei denen die individuellen Leistungen hervorgehoben werden. Doch dabei gehe es aber nicht um die "Arbeiterin XY", sondern es geht um ihre Vorbildfunktion, um eine vorbildliche Arbeitsweise, an der man sich orientieren müsse
DHM: "Fortschritt als Versprechen"
Gebrauchsfotos als Kunstform
Es ist ein Schneller, Höher, Weiter - ein Wettbewerb um die Darstellung modernster und produktivster Technik - in Ost wie West. Aber in all dem entdeckt man Momente voller Ästhetik: Die Bilder von Ludwig Windstosser etwa, der in den 1950er Jahren Walzwerke im Ruhrgebiet fotografiert hat, wirken wie Kunst-Werke. Seine Arbeiter im Grobblechwerk könnten Bühnenbildner sein - der Schemen im Funken-Regen vielleicht ein Passant, der im Trenchcoat im Regen durch ein Edward-Hopper-Bild geistert. Ein weltbekannter Fotograf wie etwa das Magnum-Mitglied Herbert List fotografierte im Thyssen-Werk Hamborn. Seine klare Bildsprache, egal ob in Farbe oder Schwarz- weiß, setzte er auch für solche Auftragsarbeiten ein. Carola Jüllig weiß, dass auch Herbert List Geld brauchte, wie jeder Künstler. Sich von Thyssen bezahlen zu lassen, war nicht schlimm in den 50er Jahren. List habe aus seiner künstlerischen Fotografie heraus einen besonderen Blick für Details. Immer, wenn es etwa ein besonders toller Jubiläumsband sein sollte, habe man sich eben einen Fotografen mit Namen geleistet.
Hinter der Fassade
Die Ausstellung zeigt auch, dass Deutschland als Industriestandort nur noch in wenigen Bereichen eine wirklich große Rolle spielt. Die einst wichtige Textilindustrie, eine der ältesten Industrien Deutschlands ist heute nicht mehr da. Viele Standorte, vor allem in der ehemaligen DDR, sind mittlerweile Geschichte. Anlagen, die vor Jahrzehnten noch voller Leben und Arbeit waren, mit tausenden von Arbeiterinnen und Arbeitern, sind geschlossen, rotten vor sich hin.
Das allerdings zeigt die Ausstellung bewusst nicht. Industriefotografie, das wird deutlich, ist Mittel zum Zweck: Sie soll glänzende Oberflächen zeigen - nicht reale Arbeitsbedingungen. Dennoch lauert auch hier die Wahrheit hinter der Fassade: Wer hinschaut, sieht etwa die Augenringe der Arbeiterinnen in den DDR-Textilfabriken.
Kuratorin Carola Jüllig weiß, dass man genau hinschauen muss, dann sieht man die alten Stühle auf denen die Arbeiterinnen an ihren Webstühlen saßen oder die nicht vorhandene Arbeitsschutzkleidung. Die Bilder verraten mehr als sie eigentlich sollen. Genau hinschauen sei das Wichtigste. Denn Fotografie erzählt nicht die Wahrheit, nur weil jemand auf den Auslöser gedrückt hat. Der Mensch, so wird deutlich, ist ein Rädchen im Getriebe. In riesigen Produktionshallen sind Arbeiter nur Teil einer fotschreitenden Automatisierung. Das verbindet Ost und West.
Holger Zimmer, rbbKultur