Julia Stoschek Foundation - Ulysses Jenkins: Without Your Interpretation
Mit Mitte 70 hatte Ulysses Jenkins unlängst seine erste institutionelle Einzelausstellung in den USA. Eine Retrospektive, die den afro-amerikanischen Künstler aus der Nische des "artist's artist" herausholte und einer größeren Öffentlichkeit vorstellte. Die Kunstsammlerin Julia Stoschek hat diese Schau in komprimierter Form übernommen und nach Berlin gebracht.
Auf der documenta hätte man ihm schon 1992 begegnen können: Per Video-Liveübertragung wurde damals ein Auftritt von Ulysses Jenkins mit seiner Band aus Kalifornien nach Kassel übertragen. Als Dokumentation, angereichert und teilweise überlagert mit Computergrafiken, ist das jetzt in der Julia Stoschek Collection nachzuerleben: Der Künstler - wie in anderen Performance-Videos auch – sehr überzeugend als Sänger der Band, verhandelt in seinen Texten Rassismus, Rassenunruhen und Gewalt gegen Schwarze in den USA. Mag die Bildqualität dieser und anderer Arbeiten auch in die Jahre gekommen sein (die Digitalisierung der alten Video-Aufnahmen fand offenkundig so spät statt, dass das Ausgangsmaterial nicht mehr in "Topform" war), inhaltlich haben sie nichts an Aktualität verloren.
Doggerel
Musik, Performance, Text - das alles ist Teil des künstlerischen Schaffens von Ulysses Jenkins. Immer geht es dabei auch um mediale Inszenierung und um Rollen und vor allem darum, sich selbst zu definieren, anstatt von anderen definiert zu werden. In der Videoarbeit "Mass of Images" von 1978 etwa lässt Jenkins Szenen aus Filmen - bis zurück zur Stummfilmzeit - mit prominenten Darstellungen Schwarzer Revue passieren. Unverkennbar selbstironisch umkreist er dabei - mit Sonnenbrille, Visier und Vorschlaghammer -, den Fernseher, über den diese Bilder flimmern, und wiederholt "Du bist nichts als die Masse der Bilder, die du gesehen hast/ Jahr für Jahr im TV".
Wie hier serviert der Künstler seine Anliegen nie als bierernsten Aktivismus, sondern mit subversivem Witz und der entscheidenden Dosis Uneindeutigkeit. Der Begriff, den er in diesem Zusammenhang immer wieder nennt, "Doggerel" (oder auch "Doggereal"), stammt angeblich vom Schauspieler Marlon Brando, der damit "Zwischenmomente" gemeint haben soll: zwischen Dialogen, zwischen Handlungen. "Doggerel" bezeichnet allerdings u.a. auch ein unregelmäßiges Versmaß in der Dichtung und "billige Komik" – und wird für Jenkins zum Synonym für Schwarzes Leben in den USA. Auf seine Arbeit bezogen, könnte man es wohl als "zwischen allen Stühlen" bezeichnen.
Julia Stoschek Foundation: Ulysses Jenkins - "Without Your Interpretation"
Vorbildhaft
Was in allen Arbeiten dieser Ausstellung zum Vorschein kommt, ist ein Künstler, der sich fern eingefahrener Wege immer wieder die Freiheit genommen hat, weiter zu experimentieren und Grenzen zu überschreiten. Früh beschäftigte er sich mit den Möglichkeiten von Video und Computergrafik, machte Musik und dokumentierte – u.a. die lebendige Avantgarde-Szene in seiner Heimatstadt Los Angeles. Den gegenwärtigen Trend in der Kunst zu kollaborativem Arbeiten nahm er um Jahrzehnte voraus. Mit Künstlerfreunden wie Kerry James Marshall – heute einer der wichtigsten afro-amerikanischen Maler unserer Zeit – sieht man ihn z.B. im Video Two-Zone-Transfer (1979): Marshall gehört dabei zu einem Trio von Background-Sängern, während Jenkins sich in James Brown-Manier auf einer Bühne verausgabt.
Es sind Traum-Sequenzen, in denen die "Background-Boys" u.a. auch mit Politiker-Masken auftreten – den Gesichtern der Ex-Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford – allerdings schwarz angemalt, blackfaced. "Was uns angeht, braucht Eure Kultur Interpretation", sagen sie und treiben die Travestie damit so weit, dass man nicht mehr weiß, wer eigentlich in welcher Rolle zu wem spricht: Die Schwarzen zu den Weißen oder die Weißen als Schwarze zu den Schwarzen?
Es sind solche Risse in der Rollenwahrnehmung, die das Publikum herausfordern.
Das Gute im Schlechten
Dass Ulysses Jenkins sich die Freiheit nehmen konnte, so lange und konsequent einen eigenen künstlerischen Weg zu verfolgen - darin mag man das Gute im Schlechten sehen, dass ihn der Kunstmarkt all die Jahre geflissentlich übersah. Mit dieser Ausstellung sein Werk jetzt einem breiteren Publikum vorzustellen, ist verdienstvoll. Was beeindruckt, sind dabei weniger die einzelnen Arbeiten - denen immer eine gewisse Vorläufigkeit eigen ist, die weniger geschliffen und poliert, denn "roh" erscheinen – , als vielmehr die Haltung, die sie zum Ausdruck bringen: Die innere Unabhängigkeit des Künstlers und sein souveräner Umgang mit Kunst als Mittel der Selbstermächtigung.
Silke Hennig, rbbKultur