Margaret Raspé mit Kamerahelm, 1971 © Margaret Raspé u. Deutsche Kinemathek, Berlin | Foto: Heiner Ranke
Margaret Raspé u. Deutsche Kinemathek, Berlin | Foto: Heiner Ranke
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Haus am Waldsee - Margaret Raspé: Automatik

Bewertung:

Sie war eine Multimedia-Künstlerin: mit Experimentalfilmen, Performances, Sound-Installationen und Malerei. Und sie war von ihrem Lebensmittelpunkt Berlin viel in der Welt unterwegs mit ihren zum Teil verstörenden Aktionen. Margaret Raspé, geboren 1933 in Breslau, wurde in London schon früh gefeiert und verehrt, und das könnte sie jetzt endlich auch hier erleben – in ihrem 90. Lebensjahr: Denn im Haus am Waldsee in Berlin-Zehlendorf bekommt sie erstmals in Berlin eine Retrospektive.

Aus kleinen, von der Decke hängenden Fernsehgeräten im Eingangsbereich wispern Stimmen, die Bildschirme aber sind mit Bienenwaben maskiert.

"Wenn du die Masken vor dem Fernseher hast, dann siehst du die Geschichten nicht mehr, erinnert sich Margaret Raspé. "Du siehst aber noch Lichtveränderungen, Schnitte, aber nicht mehr, wie einer hinterm andern herrennt, weil er beklaut wurde. Du siehst nur noch abstrakte Figuration - und das fand ich spannend!“

Wabenvideos

Die Wabenvideo-Installation ist – wie manch andere im Haus am Waldsee – mit Feingefühl rekonstruiert, denn Raspé hat kaum etwas für die Ewigkeit geschaffen, kommentiert Anna Gritz, die Leiterin des Haus am Waldsee:

"Es gab nie nur ein Original, auch keine limitierten Editionen. Frau Raspé hat außerhalb eines kommerziellen Kunstbetriebs gearbeitet und deswegen gar nicht mit solchen Strategien oder einmaligen Editionen gearbeitet, weil es nie um den Verkauf ging."

Vielmehr wollte die Künstlerin durch Aktionen aufrütteln.

Mit der Kamera am Helm gegen Automatismen

Ein von ihr erfundenes Vorläufermodell aktueller GoPro-Aktionskameras nahm die Perspektive ihrer Augen ein, um die eigene alltägliche Hausarbeit zu filmen. Die Super-8-Kamera klemmte dafür an einem Bauhelm. In der Küche zum Beispiel, Anfang der 70er Jahre. Da backt Margaret Raspé einen Hefezopf, oder sie wäscht bergeweise Geschirr ab, mit den Fingern, mit einer Bürste, gut 20 Minuten lang.

Anna Gritz erkennt in diesen Filmen feministische Positionen. Denn sie entstanden aus dem Überdruss, tagtäglich nur für Haus und Garten und die drei Töchter da zu sein – nach einer abgeschlossenen Schneiderlehre, dem Kunst- und Modestudium – in einer "Macho-Ehe", wie Margaret Raspé sagt. Ihr ging es zudem darum, die Aufmerksamkeit der Betrachter*innen auf etwas zu lenken, was sonst automatisch geschieht:

"Man schaut nicht mehr hin, was man tut", und das wollte sie mit ihren Filmen korrigieren.

Digitalisiert wurden diese Filme schon vor ein paar Jahren von der Deutschen Kinemathek.

Bildergalerie

Haus am Waldsee: Margaret Raspé - "Automatik"

International besser verstanden als hierzulande

Anna Gritz war bereits begeistert, als sie vor ein paar Jahren in London gearbeitet und diese Werke der Künstlerin entdeckt hatte. Dort – wie auch in Italien oder Griechenland – erhielt Raspé mehr Anerkennung als hierzulande. Einige Experimentalfilme, die Anfang der 70er Jahre in und nach der Zeit der Scheidung entstanden, sind jetzt ganz zentral im großen Gartensaal zu sehen.

In "Oh Tod, wie nahrhaft bist du" bereitet die Künstlerin ein – eben noch lebendiges – Huhn für den Backofen vor. Aus dem Tier trieft Blut auf ein helles Küchentuch am Boden, die Federn werden von Hand gerupft. Schließlich der Kontrast: Mitten im Bild ein Supermarkthuhn in Plastikfolie. Ein klares Statement gegen industrialisierte Nahrungsmittel. Und mit dem Eintauchen in von Chemikalien verdreckte Gewässer fragte Raspé, was wir Menschen der Welt, der Natur antun.

Auch an diese – bisweilen todesmutigen – Performances erinnert die Ausstellung im Haus am Waldsee.

Radikale und poetische Botschaften

Margaret Raspé verstand ihre Aktionen als Botschaften, unser Denken und Handeln zu überprüfen. Begleitet gelegentlich vom eigenen Obertongesang und einer guten Prise Humor.

Die Ausstellung im Haus am Waldsee spürt sensibel dem nach, was Margaret Raspé in unterschiedlichen Genres geschaffen hat: Als Experimentalfilmerin, als Performerin, als Malerin und Soundkünstlerin. Eine späte, dafür wahrhaft würdevolle Retrospektive.

Michaela Gericke, rbbKultur