HAUT – Hülle, Organ, Archiv © Michaela Gericke
Michaela Gericke
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Zitadelle Spandau | ZAK Galerie - Zentrum für Aktuelle Kunst - "Haut - Hülle, Organ, Archiv"

Bewertung:

Es geht mir unter die Haut. Aus der Haut fahren. Die eigene Haut retten. Zahlreiche Redensarten lassen erahnen, welche Bedeutung diesem empfindlichen und größten menschlichen Organ zukommt. 28 Künstlerinnen präsentieren jetzt unter dem Titel
"Haut - Hülle, Organ, Archiv" in der Alten Kaserne auf dem Gelände der Zitadelle Spandau Fotografien, Zeichnungen, Malerei, Videos, Installationen und Skulpturen.

Leicht, poetisch, ästhetisch beginnt die Ausstellung: Auf einem Plakat hält eine Hand einen Apfel: Einen ziemlich schrumpeligen, mit dunklen Stellen in seiner Schale. "Aber Eva, das war doch anders" – ist darunter zu lesen.

Ein humorvolles, zugleich philosophisches künstlerisches Statement von Gisela Weimann. Sie präsentiert dazu in ihrer mehrteiligen Arbeit "Metamorphosen eines Apfels" kleine, alternde Äpfel als Miniatur-Skulpturen. Schmal geschnittene Schalen sind zu abstrakten Blütenblättern geformt und zusammen mit runden kleinen Spiegeln auf dünne Holzplatten an der Wand appliziert: Besucher:innen werden mit ihrem Spiegelbild Teil der Installation.

Buchstäblich unter die Haut

Es geht in der Ausstellung über die äußere Erscheinung als Zeugnis von Alterungsprozessen mit Falten und Narben hinaus, dafür haben die beiden Kuratorinnen gesorgt: Julie August vom Frauenmuseum Berlin und Katharina Koch, Künstlerische Leiterin der alpha nova & galerie futura.

Julie August beschreibt es so:

"Es geht den Künstlerinnen darum, dass Erfahrungen im Leben unter die Haut gehen, nicht sichtbar sind und trotzdem was mit uns machen. Prägende Lebenserfahrungen werden unter der Haut gelagert und ein Leben lang mit sich rumgetragen. Das wird in abstrakteren Arbeiten thematisiert."

Die in Israel geborene Künstlerin Yishay Garbasz zeigt in einem Video (und auf Fotos), wie sie sich selbst einen Buchstaben und vier Zahlen in den Unterarm brennt. Die Nummer, die ihrer Mutter in Auschwitz tätowiert wurde:

"Nach dem Holocaust konnte meine Mutter nicht über ihre Erfahrungen sprechen, sie hat ihre Auschwitz Nummer chirurgisch entfernen lassen. Aber damit war das Trauma ja nicht vorbei. Traumata bleiben über Generationen ... Der einzige Weg traumatische Muster zu stoppen, ist, in sie hineinzugehen; es ist eine harte Reise, die unternommen werden muss; es ist sehr hart, das zu tun.

Ich wollte kein Tattoo, ich wollte nicht das kulturelle Gedächtnis der Auschwitz-Tätowierung (ver)ändern, aber die Nummer, die meine Mutter tragen musste, mit der wollte ich arbeiten. Ich habe ihre Nummer auf meinen Arm gebrannt. …"

Mit dieser Aktion will die Künstlerin auch die öffentliche Erinnerung an den Holocaust wachhalten.

Bildergalerie

Schutzhülle in Gefahr

Wie schreibt sich eine Lebensgeschichte in die Haut ein?

Das fragt sich Verena Kyselka. Sie beschäftigt sich multimedial seit vielen Jahren mit dem Thema Haut, richtet die Kamera in einem Video auf sich selbst, auf ihre Mutter und ihre Tochter, vergleicht unsere verletzliche Schutzhülle mit beispielsweise der von Bäumen. Für eine Fotoarbeit suchte sie mit Nahaufnahmen von Hautpartien unterschiedlicher Menschen nach ähnlichen Oberflächen der Erde. Haut und Erdoberfläche sind auf ihren Fotografien kaum mehr auseinanderzuhalten. Da passen die Pigmentstörungen auf einem Arm zu Satellitenaufnahmen der Atacama-Wüste, ein Frauenrücken zur Westsahara, die Nahaufnahme eines Bauchnabels zur Erdoberfläche in Nairobi.

In ihrer Serie "fragil" aus Schwarz-Weiß- Nahaufnahmen zeigt Tina Bara schonungslos verklammerte Schnittwunden, Narben aus nächster Nähe. Auch als Metapher für seelische Verletzungen.

Die Objekte, Skulturen, Filme und Installationen gehen buchstäblich unter die Haut. Mal zart und poetisch, mal schonungslos konkret mit Nahaufnahmen und Detailbildern der Haut selbst, mal assoziativ mit Skulpturen im Raum; auch dokumentarisch, wie die Foto-Serie über zwei Frauen und die Veränderung ihrer Körper durch Schwangerschaft und durch Brustkrebstherapie.

28 Künstlerinnen widmen sich in der ehemaligen Festung mit ihren dicken Mauern dem Thema Haut als sensible, sichtbare Hülle, als empfindliches Organ, wie auch als Synonym für gesellschaftlich relevante Themen, sie hinterfragen mit Videoinstallationen und Objekten neueste Technologien zur Selbstoptimierung. Und laden immer wieder ein zur Interaktion. Sie demonstrieren, wie verwundbar nicht nur unsere Haut, sondern auch der Mensch – und die Erde an sich sind.

Michaela Gericke, rbbKultur