Gemäldegalerie - Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit
14 Gemälde, zwei Zeichnungen und viele offene Fragen – das ist alles, was vom bedeutendsten niederländischen Maler des ausgehenden 15. Jahrhunderts geblieben ist. Und dennoch bietet diese erste monographische Ausstellung zu Hugo van der Goes unerhörten Reichtum. Sie kann nur in Berlin stattfinden, weil von den wenigen großformatigen Werken, die ihm zugeschrieben werden und die alle aus konservatorischen Gründen nicht mehr auf Reisen gehen dürfen, allein die Gemäldegalerie zwei besitzt.
Wo so wenige Arbeiten erhalten sind und es so wenig gesichertes Wissen über die Person und ihr Werk gibt, wie im Fall des aus Gent stammenden Malers, ist der direkte Vergleich – seiner Bilder untereinander und mit anderen – von unschätzbarem Wert .
Farbigkeit, Monumentalität, Leben
Nach den beiden etwas älteren Großmeistern der niederländischen Malerei, Jan van Eyck und Rogier van der Weyden, kommt mit van der Goes ab etwa 1470, zu einem Zeitpunkt, als noch gotische Steifheit und bescheidene Formate vorherrschen, leuchtende Farbigkeit, Monumentalität und "Leben" in die Malerei. Ungestüm und fast grotesk wirken zum Beispiel die beiden Hirten, die der Maler in seiner "Geburt Christi" hereinplatzen lässt in die stille Andacht, die im Stall rund um das blasse Jesuskind herrscht. Damit auch wir an der Szene teilhaben können, halten am linken und am rechten Bildrand zwei Figuren einen grünen Vorhang auseinander wie im Theater.
Gemäldegalerie: Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit
Lichteffekte und Close-Up
Die Verlebendigung der Figuren geht einher mit farblich ausgefeilten Hell-Dunkel- und raffinierten Lichteffekten - sehr schön zu sehen schon am mutmaßlich frühesten Hauptwerk van der Goes', dem sogenannten Monforte-Altar. Wilhelm von Bode erwarb ihn Anfang des 20. Jahrhunderts für eine Million Reichsmark. Bis heute ist er damit der teuerste Kauf in der Geschichte der Gemäldegalerie. Die große Tafel zeigt eine "Anbetung der Könige" als "Schauspiel" der Hände: Hände, die halten, die beten, die greifen. Und dazwischen, in einer Geste innerer Bewegung, die Hand eines der drei Könige: Wie aus der abgewandten Handfläche heraus beleuchtet und damit unerhört plastisch.
Dass van der Goes' mit solchen Erfindungen nicht nur spätere Entwicklungen in der Malerei vorwegnahm, sondern auch seine Zeitgenossen beeindruckte, beweisen frühe Kopien, die dazu das ursprüngliche Aussehen des heute beschnittenen Bildes dokumentieren. Von einem anderen Werk, einer Kreuzabnahme in Halbfiguren – auch das eine Erfindung von Hugo van der Goes, der damit als "Vater" des Close-Up gelten kann – zählen die Experten mehr als 100 verschiedene (noch existierende!) Versionen, die bis ins 17. Jahrhundert hinein entstanden sind.
Wahnsinn
Dass Hugo van der Goes schon zu Lebzeiten ein gefragter Künstler war, lässt sich nicht zuletzt an der ungwöhnlichen Größe einiger seiner Gemälde ablesen, für die die illustren Auftraggeber zweifellos tief in die Tasche greifen mussten. Die Monumentalität der beiden Werke, die aus konservatorischen Gründen nicht nach Berlin kommen konnten, wie der fast sechs Meter breite Portinari-Altar aus Florenz, werden durch originalgroße Reproduktionen eindrücklich illustriert.
Wie fast alle erhaltenen Bilder des Malers dürfte er entstanden sein, nachdem van der Goes um 1475 Laienbruder in einem Kloster wurde, das der frommen Askese verpflichtet war. Allerdings arbeitet er dort in großem Stil weiter und empfängt hochmögende Gäste bis hin zum späteren Kaiser Maximilian I. Er nimmt viele Aufträge an – zu viele, wenn man der Chronik eines Mitbruders glauben darf. Er überliefert auch, dass der Maler wahnsinnig wird. Mit Mühe kann er davon abgehalten werden, sich das Leben zu nehmen, stirbt jedoch wenig später. Einige seiner begonnenen Aufträge werden von anderen fertiggestellt: Kühne Kompositionen in teilweise schwacher Ausführung. Auch dafür liefert die Ausstellung Beispiele. So entsteht, entgegen aller Lücken und Ungewissheiten in der Überlieferung, ein dichtes Gewebe zu Leben und Werk des Malers – ein hochinteresssantes "Gespräch unter Bildern", das uns, trotz einer Distanz von mehr als 500 Jahren, den Maler Hugo van der Goes beeindruckend nahebringt.
Silke Hennig, rbbKultur