War doch gar nicht so schlimm, meint eine Nachbarin gestern vor der Tür. Sie trägt Mundschutz, die Nase ist frei. Sie muss ja irgendwie atmen, sagt sie. Corona nicht so schlimm also? Ein erstes Resümee?
Zunächst: Aus der Sicht eines Menschen, der mit sich selbst ganz gut zurecht kommt, ist diese Zeit bisher fast immer ein echter Segen gewesen. Wesentlich weniger Termine und im Homeoffice lässt es sich im Endeffekt effektiver arbeiten als im normalen Büro. Wobei – erste Einschränkung – wir immer noch weit davon entfernt sind, wirklich gut digital vernetzt werkeln zu können.
Videokonferenzen und Webinare sind eine Alternative für direkte Kommunikation, an die ich mich nur schlecht gewöhnen kann. Das erste Interview wieder mal face to face war viel angenehmer. Aber natürlich kann man auch komplexe Zusammenhänge mit digitaler Kommunikation erfassen. Es spart Wegzeiten und ist oft entspannter für beide Seiten. Ob ich mich allerdings daran gewöhnen will?
Ich bin in meinem Beruf auch privilegiert und kann so arbeiten. Pflegekräfte, Verkäuferinnen und viele andere können es nicht. Viele andere müssen sich Existenzsorgen machen, leiden unter Schul- und Kita-Schließung. Tragen nun zuhause die mehrfache Belastung mit Arbeit, Betreuung und Homeschooling. Manche Paare halten es nicht miteinander aus, wünschen sich gegenseitig auf den Mond. Die Gewalt gegen Frauen und Kinder steigt. Und dann noch die vielen Alleinlebenden, immerhin die Hälfte aller Haushalte in Berlin, die mit Einsamkeit und Depressionen zu kämpfen haben.
Ein Gewinn
Trotzdem höre ich auch von vielen, dass die Zeit ein Gewinn war. Der Partner ist wieder näher gerückt – oder man hat sich endlich doch zur Trennung durchgerungen, die man immer so vor sich her schob, weil es ja immer noch irgendwie ging. Corona als Katalysator.
Und vor allem: Wir haben Zeit, uns mit existentielleren Fragen auseinanderzusetzen. Was wollen wir eigentlich? Wozu sind wir auf der Welt? Gibt es noch anderes und andere?
Ich beobachte immer wieder praktische Hilfsbereitschaft. Wir sind gar nicht so egoistisch. Die Frage "Wie gehts?" ist ernst gemeint. Und "Kann ich helfen?" auch. Wir lernen Nachbarn kennen. Weil wir uns mehr auf das eigene Umfeld konzentrieren.
"Freiheit" höre ich. Dass wir frei haben von Verpflichtungen, macht tatsächlich freier. Ja gut, es gibt immer noch Beschränkungen, das hätte man vielleicht auch anders hinbekommen können, aber im Prinzip: Wir sind freie Menschen. Spüren wir das paradoxerweise eher in Zeiten von Kontaktverboten und Ausgeh-Einschränkungen?
Irgendwie bescheuert
Vor Corona war fast alles käuflich. Jetzt werden einige Sachen wieder wertvoll. Weil ich Kino nicht haben kann, einfach so, freue ich mich jetzt schon auf die erste Vorstellung. Und das mit dem Lieblingsrestaurant muss ich auch noch nicht haben. Später. Im Sommer, wenn man draußen sitzen kann, auch abends. Wir können warten – mein Lieblingsrestaurant macht eh noch Pause. Lohnt sich momentan nicht. Naja. Meinen Geburtstag im Sommer würde ich schon gerne feiern, mit vielen Kolleginnen und Freunden. Aber auch da gibt's ne Lösung. Wir machen es im Herbst – wie bei Alice im Wunderland und feiern "Nicht-Geburtstag".
Und noch etwas gehört in ein erstes Resümee: Die Erkenntnis, dass wir mit Masken fast alle irgendwie bescheuert aussehen.
8 Kommentare
Die Museen öffneten wieder ihre Türen u ich ergriff sogleich die Gelegenheit, um mir die Ausstellung über Hannah Arendt anzuschauen - natürlich mit Maske. Es war auszuhalten, da die Räume sehr gut gekühlt sind (bitte eine Jacke anbehalten!). Ich kann diese Ausstellung nur wärmstens empfehlen, sie tat sehr gut, auch weil es mal nicht um Corona ging. Der nahende Sommer lässt viele Menschen bereits nachlässig werden, die Masken-Blick-Duelle sind auch mir nicht unbekannt. Ich bleibe entspannt, im Laden auf Arbeit komme ich zurecht mit der Maske. Wohl auch, weil ich in Vorfreude bin auf den baldigen Urlaub - diesen verbringe ich in meiner Heimat Mecklenburg u freue mich auf das Wiedersehen mit meiner Mutter. Trotz der Maske (oder gerade wegen ihr!?) verliere ich nicht aus den Augen, was wirklich wichtig ist im Leben!
Die Eichelhäher ziehen ihre Kreise, die Eichhörnchen jagen sich gegenseitig die Bäume rauf u runter, die Amsel singt munter ihre Lieder u der Specht geht stetig seiner Arbeit nach. All dies kann ich von meinem Fenster aus beobachten u zwar schon eine sehr lange Zeit vor Corona u der sogenannten Entschleunigung. Es ist einerseits traurig, dass manchen (vielen?!) Menschen diese Anblicke jetzt erst auffallen, andererseits verbinden viele Menschen mit dem Leben in einer Grossstadt vor allem die kulturelle Abwechslung u ebensolchen Austausch, Jubel, Trubel, Heiterkeit....Wohl deshalb mangelt es vielen an der nötigen Geduld u dem Durchhaltevermögen, um diese C.Krise zu bewältigen, denn überstanden ist sie noch längst nicht.
Überraschung: das Wort "Muße tun" füllt sich plötzlich mit Leben und ja, es gibt ein Leben nach dem Leben. Und alles war schon mal.Als Kinder hatten wir Langeweile, manchmal an Sonntagen, der Rhythmus fehlte.Und doch sehnen wir uns nach dem Gefühl zurück. Oft entsprangen daraus Ideen, Phantasien, Wünsche, Träume. Haben wir noch Träume? :-)
momentan ist jeden tag tagebuchtag: https://poupoulab.blogspot.com/
normalerweise mache ich das nur einmal im monat, immer am 5. das tägliche bloogen hilft mir in diesen diffusen wochen den überblick über mein eigenes leben zu behalten. außerdem lese ich gerne die corona-tagebuchblogs von anderen blogger*innen. es entsteht ein gefühl der verbundenheit und anteilnahme, das gibt mir kraft.
ps: Das Gefühl, aufgrund der vielen Anforderungen eigentlich nicht mehr zu können – das teile ich. Damit steht Ihr Freund nicht allein da. Man muss wohl Abstriche bei der Umsetzung machen: Laissez-faire statt Perfektion.
Hatte schon ein paar Mal den Impuls zu schreiben, aber heute mach ich's auch. Kann die Idee der WG nur bekräftigen: Wir sind drei Erwachsene Ü50 mit drei Kindern (19, 20, 13). Das klappt seit fast zwei Jahren - meistens - gut. Und ist jetzt echt eine Feste!
Danke fürs Teilen Ihrer Gedanken und Beobachtungen.
Salve, die Hälfte meines Arbeitsweges - ja, ich stehe als Verkäuferin "an der Front" - fahre ich mit dem Rad u erfreue mich derzeit sehr daran. Es fährt sich entspannt wie nie, keine nervenden u störenden Rollerfahrer u alle um mich herum scheinen sowohl die Bremse als auch die Rücksichtnahme wieder für sich entdeckt zu haben. Danke. Dieses Wort höre ich derzeit oft auf Arbeit von den Kunden. Sie sind sichtbar froh, dass die Versorgung trotz vieler Lücken am Laufen gehalten wird u sprechen uns Mut u Kraft zu. Das motiviert u schenkt ein gutes Gefühl. Das Osterpäckchen für meine Mama schicke ich die nächsten Tage wohl noch auf die Reise, denn wer weiss, ob es in zwei, drei Wochen noch möglich ist. Ja, das Fest der Auferstehung - es bekommt dieses Jahr eine so ganz neue Gewichtung!
Ich grüsse Sie herzlichst!
Es ist der 250. Geburtstag von Friedrich Hölderlin, lassen wir ihn hochleben und die Schönheiten der Worte in dieser schwierigen Zeit nicht vergessen! In der Tat, es ist eine kuriose und in Momenten gespenstisch anmutende Zeit. Heute Vormittag ging ich zur Bäckerin meines Vertrauens und fand mich draussen in einer kleinen Schlange stehend wieder, da alle den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand einhielten. Es kamen sogleich Erinnerungen in mir hoch, bin ich doch als Kind der DDR mit "Konsumschlangen" aufgewachsen. Deshalb versetzte mich dieser Anblick nicht in Panik und blieb gelassen. Der Verkäuferin geht es gut, sie hält durch wie wir alle, welche im Lebensmittelbereich arbeiten. Ich habe, nicht ganz unpassend, diese Woche Urlaub und vertiefe mich in meine Hausbibliothek. Ich möchte sie alle auf einmal lesen. Ich wünsche mir irgendwie, dass es vielen anderen ebenso ergeht-nutzen wir die gegebene Zeit zum lesen und verreisen gedanklich!