Kochbuch des japanischen Künstlers Shinroku Shimokawa - "Man kann keine Steine essen": Ein Bildhauer am Herd
"Man kann keine Steine essen" heißt das Kochbuch des japanischen Bildhauers Shinroku Shimokawa. Seit zehn Jahren in Stuttgart zu Hause, reflektiert der Autor die Wiederentdeckung der Küche seiner Eltern in der neuen Heimat und das Verhältnis zwischen Kunst und Kochen. Das schlicht aber elegant gestaltete Kochbuch wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten deutschen Bücher des Jahres 2021 ausgezeichnet.
Naturbrauner Umschlag, leicht durchscheinendes Papier, elegante, auf das Wesentliche reduzierte Gestaltung: Selten spiegel das Äußere eines Buches so genau Inhalt und Stil wider. Der Autor Shinroku Shimokawa lebt seit zehn Jahren als Bildhauer in Stuttgart. Dort hat er als Student angefangen, über die Küche seiner Heimat nachzudenken, die er vermisste, die er aber vorher nie besonders hinterfragt hatte.
Shinroku Shimokawa erzählt, wie er im Studentenheim die japanische Küche neu entdeckt hat, indem er viele der Zutaten – ob Saucen, Salzpflaumen, getrockneten Fisch, Trockenpilze oder fermentiertes Gemüse – selbst herstellen musste - oft auf der Grundlage regionaler Produkte.

Langsamkeit am Herd
Gerade in der Langsamkeit der Zubereitung hat sich dem Shinroku Shimokawa das Wesen der japanischen Küche erschlossen, die heute viele in seiner frühen Heimat zugunsten von Fertiggerichten vernachlässigen. Zur Zubereitung der Zutaten gehört beim Bildhauer Shimokawa auch des Handfertigen von Steinschalen und Holzbehältern.
Der Blick aufs Kochen ist stets auch der eines Künstlers, für den Lebensmittel einen ähnlichen Status wie Steine oder Holz haben: Materialien, die ihm die Natur für die Kunst oder für die Ernährung zur Verfügung stellt und deren Transformation immer einen Eingriff ins Gleichgewicht der Natur darstellt und daher von einem Gefühl der Verantwortung geleitet werden sollte.
So stellen die Bilder gleichwertig Kunstgegenstände aus Stein und Grundzutaten dar - wie Fisch, Reis oder Algen. Bilder, die die Zubereitung oder das fertige Gericht zeigen, sorgen wiederum dafür, dass das Buch nicht zu abgehoben wirkt.
Erst beobachten, dann kochen
Shinroku Shimokawas Rezepte, nach den vier Jahreszeiten geordnet, die sie inspirieren, sind nicht komplex: aufwendig ist meist eher die Zubereitung einzelnen Zutaten, Saucen oder Brühen auf der Grundlage von Geschmacksträgern wie Pilzen, Algen, Knochen und dem allgegenwärtigen Katsuobushi (geraspeltem getrocknetem Bonitofilet).
Danach werden die Gerichte eher unkompliziert mit Kräutern, Fleisch- oder Pfannkuchenstreifen und fermentiertem Gemüse zusammengestellt. Kurios für Menschen, die japanische Küche oberflächlich und eher vom Restaurantbesuch kennen, ist die Nutzung von Zutaten wie Ginkosamen, die erst nach aufwendiger Behandlung überhaupt genießbar werden oder wie dem ebenso giftigem Adlerfarn, der in Deutschland nur in der harten Kriegszeit verwendet wurde.
Rapsblüten, die der Autor am Feldrand sammelt und ähnlich wie Spargel zubereitet, müssen gut gewaschen und blanchiert werden, da sie meist sehr gespritzt sind – zumal das Gemüse in Deutschland eher für den Autotank (sog. "Biosprit") als für den Magen angebaut wird.
Mairübenblättern, die hierzulande meist schon beim Gemüsehändler aussortiert werden, sind für den Autor eine Delikatesse, ebenso wie das hiesige Unkraut Giersch und das asiatische Kraut Shiso - für manche japanische Gerichte unverzichtbar, doch in Europa schwer zu finden.

Formen und kneten
Viel Platz widmet Shimokawa den verschiedenen Sorten Sushi und ihrer handwerklichen Zubereitung, ebenso wie dem Teig japanischer Nudelsorten. Für "Udon" und "Ramen" sollte dieser so hart sein, dass er, in einer Plastiktüte verschlossen, kräftig mit den Füßen geknetet werden kann. Kochen wird dann zu einer Tätigkeit, die von Kopf bis Fuß beschäftigt - Geist und Körper gleichermaßen.
Bei Sushi empfiehlt er, von gefährdeten oder nicht nachhaltigen Fischsorten wie Thunfisch und Lachs abzusehen und lieber auf nicht überfischten Spezies zuzugreifen, notfalls auch auf kleinere Fische, die er geduldig entgrätet und filetiert. Bei Natto, bei uns als "Superfood" bekannt gewordenen fermentierten Sojabohnen, plädiert der Autor, die Bohnen selbst zu fermentieren, da das importierte Produkt sehr teuer und unökologisch ist.
Shimokawas Kunst beschäftigt sich mit dem Herstellungsprozess und den Eigenschaften von Material, Masse, Raum und Zeit: So wundert es nicht, dass Lebensmittel bei ihm dieselbe Aufmerksamkeit und Hingabe erhalten. Sein gewollt schlichtes, aber geistreiches Kochbuch vermittelt nicht nur ungewöhnliche Einblicke in eine Küche, die vielen von uns nicht sehr vertraut ist. Es zeigt vor allem eine respektvolle und dankbare Haltung zum Essen und allem, was dazu gehört, die oft im Alltag verloren geht.
Elisabetta Gaddoni, rbbKultur