Neue vegane Gutbürgerlichkeit - "Vaust" - Brauereigaststätte in Charlottenburg
Obwohl es sich Brauhaus nennt, versucht ein Charlottenburger Kneipen-Restaurant erst gar nicht, die aus dieser Tradition stammenden Deftspeisen mit pflanzlichen Zutaten nachzuahmen. Dafür gibt es Gerichte, die man einer neuen veganen Gutbürgerlichkeit zuordnen könnte.
Brauhäuser sind Überbleibsel einer Kultur vor der Machtübernahme der Großbrauereien. Namentlich in München und Köln gehören sie zum Stadtbild. Inzwischen haben sich im Zuge der Craft Beer-Bewegung neue Adressen zur Pflege hausgemachten Bieres gebildet, doch das "Vaust" gehört nur bedingt dazu.
Zuwendung zu veganem Essen - ohne die Imitation von Fleischgerichten
Das liegt am traditionellen Pils-Ausschank und am Charakter eines Ortes, der seit den siebziger Jahren von einem sich jung fühlenden Publikum frequentiert wird. Was das Ambiente betrifft, so ist es ein Exempel einer besonderen Stilrichtung. Sie setzt sich aus Hinterlassenschaften früherer Pächter zusammen und erhält ihre besondere Note durch zwei possierliche Hunde. Sie halten in einem Zierzwinger hinter der Theke Stellung und unterstreichen durch glänzendes Fell und munteres Betragen den carnivoren Standpunkt.

Das leicht trübe helle Pils-Bier erscheint heftiger als das genormte Großstadtbier, gibt sich ein wenig auch fruchtig (vor allem im Duft) und äußert Bitternoten lediglich zurückhaltend. Ob das eine gute Entscheidung ist, mag man bezweifeln. Die Entscheidung aber, sich von tierischen Erzeugnissen ab- und der veganen Ernährungsweise zuzuwenden, dürfte zu begrüßen sein – zumal sie sich hier nicht in der Imitation von Fleischgerichten erschöpft.

Deutsche Anlehung an die Nouvelle Cuisine
Hauptgerichte, deren Preise deutlich unter 20,00 Euro angesiedelt sind, wie "Blumenkohl mit Haferkruste: Hopfen-Jus, Kartoffelstampf mit Schmorzwiebeln, Karotten-Lauch-Senf-Pfanne, Aprikosen-Espuma und Chips vom Blumenkohlgrün" oder "Gebackener Spitzkohl: Gebratenes Spitzkohl-Viertel auf Pastinaken-Meerrettich-Püree, Calvados-Jus, Spinat-Linsen-Gemüse, gepickelter Apfel und Thymiancreme" verraten bereits auf der Karte ihre Anlehnung an die deutsche Form der Nouvelle Cuisine. Sicher ist sie in die Jahre gekommen, vermag aber gerade einer echten Gasstätte noch Impulse zu verleihen.
Dass der wässrige, mit Kreuzkümmel traktierte Zucchinipuffer nicht in diese Abstammungslinie gehört, liegt auf der Hand.
Überzeugende Beilagen
Während sowohl der bloß leicht gebräunte Blumenkohl als auch der ein bisschen ungeschlacht wirkende Spitzkohl im Zentrum ihrer Teller durchaus mit mehr Mut zum Ofen hätten angepackt werden können, vermag der Reigen der Beilagen in den meisten Fällen zu überzeugen. Insbesondere das geschmeidige Pastinaken-Püree mit seinem feinen Meerrettich-Unterton und die Herzhaftigkeit des gezwiebelten Kartoffelstampfs geben dem mit Gefühl für aromatische Tiefe angelegten Hopfen- beziehungsweise Calvadosjus gewissermaßen eine Heimat. Überdies nehmen sie den übrigen Elementen den Rang von bloßen Applikationen.
Was insgesamt zu bemängeln wäre, ist, dass Kräuter in tragenden Rollen auf dem Speiseplan nicht vorgesehen sind.

Kleine Speisen mit großem Reiz
Sinnvoller jedoch erscheinen in diesem Kontext die kleineren Speisen. Etwa die "Panisse" genannten Kichererbsen-Pommes mit dezenter Trüffelöl-Soya-Mayonnaise und knackigen Erbsensprossen sowie insbesondere die Crispy-Sellerie-Nuggets mit Chipotle-Mayo geben sich nicht nur als vorzügliche Begleiter des Bieres zu erkennen, sondern besitzen auch für sich gesehen einen nicht zu unterschätzenden Reiz.
"Gezähmt-rustikal" funktioniert erfreulich gut
Ebenfalls gilt das ohne Abstriche für den mit Austernpilzen gefüllten Germknödel mit Sesamchips und einen höchst delikaten Schokokuchen. Die Mitte zwischen Mousse und Biskuit haltend, kann man dieses satte, den Moment ganz ausfüllende kulinarische Erlebnis auch als Symbol dafür nehmen, dass diese vom Verzicht mitbestimmte Küche gerade in gezähmt-rustikaler Form erfreulich gut funktioniert.
Thomas Platt, rbbKultur