Makellose Hotelküche mit vegetarischem Schwerpunkt - Restaurant "Heritage Berlin"
Nimmt man "Heritage", den Namen des Restaurants, beim Wort – er bedeutet "Herkunft" beziehungsweise "Überlieferung" –, so wird hier mitten in Berlin-Mitte, direkt am Gendarmenmarkt, am ehesten noch die Zukunft beerbt. Auch wenn einige Gerichte nicht nur dem Namen nach auf die nordamerikanische Klassik verweisen, scheinen manche darunter – vor allem wegen ihrer innovativen Energie, die sie förmlich ausstrahlen – noch nicht ganz der Gegenwart anzugehören.
Für die helle Sauce auf dem saftigen, gleichmäßig glatten Fleisch der Aubergine muss die Küche keine besonderen Anstrengungen auf sich nehmen. Sie besteht aus Seidentofu, der mit Kaffirblatt, Limettenabrieb und etwas Salz gemixt wurde.

"Don‘t call it Schnitzel": Keine Nachahmung von Fleisch
Was allerdings zählt, ist die Idee – genauso wie bei der zweiten Sauce. Sie ist dunkel wie ein Bratenjus und breitet sich unmittelbar unter dem sämigen Sojabohnenquark aus. Während der den leicht seifigen Ton des grünen Blatts mit Zitrusfrische vereint, kommen nun Karamell, Teriyaki-Sauce, Shiitake-Pilze und Korianderstiele ins Spiel. Sie erweitern den Schmorton des Gemüses. Dies rückt das "Good Friend" genannte Zwischengerichts im neu eröffneten Restaurant des Hotels "Luc" zwar in die Nähe einer Fleischspeise, aber seine Intensität ist davon verschieden.
Ebenso wie diese asiatische Interpretation eines Klassikers der levantinischen Küche verdankt sich auch "Don‘t call it Schnitzel" der Fantasie von Florian Glauert. Hier steht ein im Sous vide-Verfahren verdichteter und anschließend noch gerösteter Weißkohl an der Stelle von geklopftem Kalbfleisch und füllt dessen Rolle in der "Wiener Panier" auf hochinteressante Weise aus.
Auch hier geht es dem Spitzenkoch, der zuvor im mittlerweile geschlossenen Ellington Hotel für Aufsehen sorgte und dem die Seminarräume des "Culinary Institute of America" im US-Bundesstaat New York wohlbekannt sind, nicht um Nachahmung von Fleisch, sondern allenfalls um die Verfertigung einer parallelen Erscheinung.
Diese Umgang mit pflanzlichen Elementen gipfelt in einem "Vatar" benannten Tatar. Bis auf die Farbe sowie die Verwendung von Kapern und Eigelb hat es nichts gemein mit der berühmten Zubereitung aus Schabefleisch – und doch wirkt die Präsenz der mit geräucherter Paprika gewürzten Masse aus Roter Bete und Jackfruit ebenso kraftvoll. Nicht zuletzt wird dieser Eindruck von einer Mayonnaise unterstrichen, die aus einem mit Rapsöl emulgierten Kichererbsensud besteht.
Konsistenzen und Aromen, die sich gegenseitig fordern und fördern
Auf Florian Glauerts Speisekarte stehen im Grunde kulinarische Konzepte im Tellerformat. Man merkt, dass die Küche den ersten Impulsen widersteht und ihre Kompositionen auf längere Sicht hin entwirft. Das hat wenig zu tun mit der zeitgenössischen Autorenküche und ihren Menüs. Im Zentrum stehen Konsistenzen und Aromen, die sich gegenseitig fordern und fördern. Zusammen bilden sie einen unverwechselbaren Pointierungsstil, der nicht auf die Ausweitung von Gerichten oder die Herstellung von Varianten angewiesen ist.

Beileibe kein vegetarisches Restaurant
Dennoch handelt es sich beim "Heritage" beileibe nicht um ein vegetarisches Restaurant. Denn man bekommt dort vorzüglichen Lachs mit Pink Grapefruit, Misocreme und Basilikum, rohen Thunfisch mit knuspriger Hühnerhaut und Sommer-Kimchi genauso wie einen Shrimp Cocktail mit Meerrettich-Ketchup sowie ein pochiertes Rinderfilet mit Kartoffel-Estragon-Stampf oder das "Salle a Manger", in dem sich Schweinebauch, Jakobsmuschel und Pulpo begegnen.
Wie ein Kontrastmittel heben diese makellos zubereiteten Interpretationen der internationalen Hotelküche die vegetarischen und veganen wie auf ein Podest.
Thomas Platt, rbbKultur