
Qualitätsweine in Schöneberger Hinterhofästhetik - "der Weinlobbyist - Bistro&Weinbar"
Eine Lobby für originelles Essen ohne Brimborium sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht. In einem jungen Schöneberger Weinlokal gibt es jedoch vielversprechende Ansätze zu einer solchen Interessenvertretung. Dort kocht nämlich der hochbegabte Ronnie Marx kleinformatige Menüs, die für den Geist mindestens so anregend sind wie für den Gaumen – und das unterhalb des Radars der kulinarischen Gralshüter.
Serhat Aktas sind zwei Dinge in die Quere gekommen, mit denen er nicht rechnen konnte: Zum einen war es die Pandemie. Sie verhagelte ihm erst einmal den Start seines Weinlokals zwischen Julius-Leber-Brücke und Kaiser-Wilhelm-Platz. Zum anderen war es die Begegnung mit einem jungen Koch aus Koblenz. Als der den Weg des im Rheingau ausgebildeten Sommeliers kreuzte, wurde alles anders. Plötzlich passte sein Angebot zur in dieser Lage unerwarteten Hinterhofidylle – und vor allem zu seinen Absichten als Botschafter ausgewählter deutscher und österreichischer Weine.

Ein Gastgeber mit Verbandsauszeichnung
Während Aktas unlängst für seine Winzersektauswahl von über 60 Positionen eine Sonderauszeichnung des Verbandes der Prädikatsweingüter empfing, wirkt der in einem rheinischen Familienbetrieb ausgebildete Marx eher im Stillen. Manchen Gästen mag vielleicht deshalb noch entgehen, dass das ausgezeichnete Sauerteigbrot aus Roggen und Weizen vom Koch stammt und es mit den Erzeugnissen der ersten Bäckereien der Stadt mühelos aufnehmen kann.
Perfekt abgestimmte Speisefolge
Wenn aber dann das perfekt in Säure und Schärfe abgestimmte Jacobsmuschel-Ceviche mit gerösteten Maiskörnern aus dem Menü oder das Törtchen aus geeister Sauce Hollandaise mit Algenkaviar auf Pumpernickelbröseln und Misocreme plus fermentiertem grünen Spargel aus der vegetarischen Speisefolge (vier Gänge 45 Euro bzw. 36 Euro; Weinbegleitung 20 Euro) auf den Tisch gelangen, dann wird rasch klar, dass es hier nicht bloß um die abfedernde Grundlage für den Genuss rauscherzeugender Getränke geht.

Einmannküche, die mit jedem Bissen zulegt
Von ähnlichem Rang wie die gefrorene Hollandaise sind auf der fleischlosen Seite eine unglaublich gut abgerundete Parmesansuppe (sie weckt tatsächlich die Erinnerung an das begehrte sogenannte Häutchen auf dem Boden der Käsefondue-Kaserolle) sowie ein Kartoffelstrudel in Steinpilzsud.
Wer Fleisch bevorzugt, der wird das geflämmte Rindertatar mit rote Bete-Ponzu gewiss lieben, zumal es mit dem Messer zerkleinert wurde und folglich noch über Struktur verfügt. Auch wenn der gegrillte Duroc-Schweinebauch übertrieben deftig erscheint, so relativiert doch das gewürfelte Rettich-Kimchi diesen Eindruck.
Dass die Speisen mit jedem Bissen noch ein wenig zuzulegen vermögen, ist nicht nur Ausweis des Vermögens dieser Einmannküche, sondern erscheint auch wie ein Versprechen auf die Zukunft des ganzen Unternehmens.

Berlin braucht mehr von diesen Lobbyisten
Die beste Brettljause, die sich überhaupt denken lässt in einem derart unprätentiösen und nonchalanten Milieu, dürfte der Flammenkuchen sein. Es gehört zu den besonderen Vergnügungen im "Weinlobbyisten" zu beobachten, wie sich der Sauerteigboden zu so unterschiedlichen Belägen wie Ziegenkäse, Walnuss und Honig oder Entenklein mit Hoisin-Sauce und Sichuan-Pfeffer verhält. Einmal stullenartig-herzhaft, das andere Mal wie in einer Pastete.
Diese Werke aus dem Steinofen siedeln weit, sehr weit weg von jenen Konversationsgerichten, mit denen Weinstuben hierzulande ihre Gäste zu delektieren suchen. Ein guter Anfang ist also gemacht, aber Berlin braucht mehr von diesen Lobbyisten.
Thomas Platt, rbbKultur