Margherita & Quattro Stagioni treffen auf neue Kreationen - Pizza: Vom Arme-Leute-Essen zum Gourmetgericht
Dass "Pizza" weltweit das bekannteste Wort der italienischen Sprache ist, überrascht nicht: Kaum ein Gericht ist auf allen Kontinenten so beliebt wie die runde belegte Teigscheibe. In ihrer aktuellen Form ist Pizza eher eine moderne Kreation, aber ihre Geschichte reicht bis in die Spätantike zurück. Im Laufe der Zeit hat sich Pizza stets entwickelt und den veränderten Bedingungen angepasst. Vom sättigenden Essen für arme Leute, wie sie es früher in Neapel war, ist Pizza heute immer mehr ein Gourmet-Gericht geworden, bei dem die Qualität der Zutaten und die lange Gärung des Teigs immer wichtiger sind.
Die Stadt Neapel gilt allgemein als die Wiege der Pizza: die Neapolitanische Backkunst der "Pizzaioli", der neapolitanischen Pizzabäcker, gehört seit 2017 zum Weltkulturerbe. Das bedeutet aber nicht, dass die Geschichte der Pizza in Neapel ihren Anfang gehabt hätte.
Antike "Teigunterlage"
Die Frage ihres Ursprungs kann nicht eindeutig beantwortet werden. Alle antiken Völker, die Zugang zu Getreide hatten, kamen irgendwann auf die Idee, Teigscheiben aus Mehl zu formen und sie an der Feuerstelle zu backen. In ihrer Urform als flaches Teigstück war sie schon vor rund 6.000 Jahren unter dem Namen "Abrahams Brot" auf den Tischen der Hebräer und Ägypter zu finden. Funde zeigen, dass Hefe bereits bekannt war. Flache Brote waren sowohl im Alten Griechenland als auch bei den Persern beliebt, während sie im Alten Rom eher als Teller verwendet wurden, die nur arme Leute aufgegessen haben. Aus dem Namen "mensae", der diese Teigunterlagen bezeichnete, stammt das heutige Wort, das im Italienischen sowohl für die Tafel als auch für Essen allgemein steht, im Deutschen eher nur für Kantine.
Auf dem Weg zum Belag
Bereits die Phönizier haben vor ca. 2.500 Jahren für einen Entwicklungssprung gesorgt, indem sie dem flachen Brot Fleisch und Zwiebeln hinzugefügt haben. Das Wort Pizza soll erst im Jahr 997 aufgetaucht sein. Für einige stammt der Begriff aus dem langobardischen Wort "pizzo" bzw. "bizzo", was dem deutschen "Bissen" entspricht; für andere wiederum aus dem griechischen Wort "pitta" für Fladen.
Mit den Kreuzzügen kam zusammen mit dem Raubgut auch kulinarisches Wissen nach Italien, insbesondere in die Hafenstadt Neapel. Pizza soll hier zunächst Streetfood für die Armen gewesen sein, weil sie noch günstiger als Brot war - bestenfalls war sie mit Schafskäse belegt.
Erst im 18. Jahrhundert setzte sich die Innovation durch, die Pizza etwas ähnlicher zum heutigen Gericht gemacht hat: Der Teig wurde mit Tomatensauce bestrichen, manchmal auch mit getrockneten Sardellen oder mit Olivenöl und Oliven abgeschmeckt.
Käse bzw. Büffelmozzarella kam noch später dazu, als ein neapolitanischer Pizzaiolo eine Pizza zur Ehren von Margherita von Savoyen zubereitete, der Ehefrau des italienischen Königs Umberto I. Die Pizza trug - zufällig oder absichtlich - die Farben der italienischen Trikolore: rote Tomaten, weißen Mozzarella und Basilikumgrün. Seitdem ist die "Margherita" die klassische Pizza, die auf keiner Speisekarte einer Pizzeria fehlen darf und die nach Belieben variiert werden kann.

Pizza in der Emigration
Mit der Emigration hat sich die italienische Spezialität den neuen Bedingungen angepasst. In New York gab es zum Beispiel keine Holzkohleöfen, die wie in Neapel erlaubten, Pizza bei sehr hohen Temperatur in sehr kurzer Zeit zu backen, so dass sie außen knusprig und innen etwas weich bleiben konnte. Durch die längere Garzeit wurde amerikanische Pizza viel fester, was wiederum möglich machte, sie als gefaltetes Viereck als Streetfood zu verkaufen. So mussten sich emigrierte Pizzabäcker immer wieder auf die veränderten Bedingungen und auf den Geschmack der Kundschaft einstellen.
Während in Norditalien seit den 80er/90er Jahren eher eine dünne, knusprige Pizza bevorzugt wird, die nicht zu sehr sättigen soll, damit im Magen auch Platz für Vorspeise und Dessert bleibt, lieben die Menschen im Süden nach wie vor große Pizzen mit dickem, fluffigem Rand. Dieser entsteht dank der kunstvollen Drehungen, mit dem Pizzabäcker den Teig von innen nach außen dehnen: Die Technik gilt als eine der Grundvoraussetzungen für eine gelungene Pizza.
Altbewährte Klassiker und hippe Kreationen
Mögen die Speisekarten der italienischen Pizzerien immer länger werden, so sind Dreiviertel der Spezialitäten die Klassiker: Margherita, Funghi, Quattro Stagioni. Pizza mit ungewöhnlichem oder modischem Belag findet man eher außerhalb Italiens. In Berlin zeichnet sich immer mehr die Tendenz, Pizza zu einem Gourmet-Gericht zu machen - mit hochwertigen Zutaten wie Burrata, Trüffel, Steinpilzen, Kaviar, Bergparmesan, Büffelricotta, Bio-Schinken usw.
Überall zu verzeichnen ist die Suche nach einem besser verdaulichen Teig. Abgesehen von den glutenfreien Varianten, die mittlerweile viele Lokale anbieten, finden sich immer mehr Alternativen mit alten Weizensorten, Dinkel oder Emmer, die den Teig etwas fester und schmackhafter machen. Selbst wenn weiterhin Manitoba-Mehl verwendet wird, das klassische glutenreiche Hartweizenmehl für Pizza, orientieren sich immer mehr Pizzerien auf Sauerteig anstelle der bewährten Bierhefe.
Der Sauerteigtrend
Sauerteigbrot als vermeintliches Allheilmittel erlebt einen regelrechten Boom und dieser Trend hat auch die Pizzerien erreicht mit der Überzeugung, Sauerteig mache Pizza viel verdaulicher. Dabei liegt dieser Aspekt vor allem an der langen Gärung - unabhängig vom verwendeten Gärungsverfahren. Bei einer langsamen Gärung, bei der der Teig auch 24 Stunden ruht - teilweise in Kühlschrank -, und Zeit hat, alle Aromen zu entwickeln, braucht man minimale Mengen an Bierhefe und niemals die Unmengen, die meist in Rezepten empfohlen werden. Sauerteig macht Brot viel länger haltbar - ein Vorteil, der bei Pizza eher überflüssig ist. Dafür ist Bierhefe einfacher zu verwenden, während Sauerteig eine gewisse Übung verlangt, da der Teig leicht übersäuern kann. Aroma, Konsistenz und bessere Verdaulichkeit gelingen ebenso mit Bierhefe, wenn man dem Teig die Zeit lässt, sich zu entwickeln und ihn vor dem Backen vorsichtig dehnt, ohne ihn zu pressen.
Rund sollte Pizza jedenfalls sein, selbst wenn sie nicht so perfekt wie der Vollmond gelingt, den Dean Martin in einem Lied aus den 50er-Jahren mit einem "Big Pizza-Pie" vergleicht.
Elisabetta Gaddoni, rbbKultur