Neues Projekt des "Borchardt"-Betreibers Roland Mary - Restaurant "Root" im Telegraphenamt
Speisesaal, Begegnungsstätte, Drehscheibe, Forum, Frühstücksraum oder Großrestaurant? Egal, wie man das "Root" nennt – Berlin hat jedenfalls einen ausgeprägt urbanen Ort hinzubekommen, der mehr ist als bloß ein weiteres Lokal.
Das liegt zunächst einmal am Ort. Schauplatz ist ein Innenhof des ehemaligen Telegraphenamts zwischen Monbijoupark und der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße.
Ein Wintergarten mit historischen Elementen
Sein Steinboden wird von einer gewichtigen Glasdachkonstruktion überspannt. Im Innern ähnelt der Raum nicht nur wegen der Palmengewächse und der bronzierten Säulen durchaus einem Wintergarten. Lange Wandbänke sind zum eine bequeme Sitzgelegenheiten, zum anderen geben sie der weiten Fläche Struktur. Bistrotische und eine Population aus Stühlen und Sesseln laden zur Versammlung. Die angenehm warme, legäre Atmosphäre dieses Atriums in preußischer Umsetzung wird erzeugt von historischen Elementen – allen voran die altehrwürdige Rohrpostanlage – und modernen Einbauten. Ihre jeweilige Identität bleibt in friedlicher Koexistenz gewahrt.

Lunch in gelöster Atmosphäre
Zum Lunch dürfte es im Moment einer der besten Gelegenheiten in Berlin sein, mit echtem Anspruch zu dinieren. Am wenigsten kommt das Servierpersonal mit dieser gelösten Situation zurecht. Beim Üben sieht "Borchardt"-Impresario und "Root"-Prinzipal Roland Mary geduldig zu. Schließlich ist er kein Hamlet, der gleich zuschlägt, wenn ihm etwas nicht passt ...
Speisen aus verschiedenen Kulturkreisen
Auch auf der Speisekarte existiert ein Nebeneinander von Speisen aus verschiedenen Kulturkreisen. Auf eine vor Aroma förmlich vibrierende "Consommé vom Huhn" mit gebratener Wachtelbrust oder der etwas trägen "Rote-Beete-Suppe" mit zähem Pilz Ragout folgt ein exzellenter "Thai Beef Salad" mit Enoki-Pilzen, Kürbis, Bohnen im Stricknadelformat und Zitrusklecksen.
Scharfe Currys und mediterrane Meeresfrüchte
Der ostentativen Schärfe des "Roten Curry" mit Poularde in Kokosmilch begegnet die milde Anlage des in Algenpapier verpackten und frittierten Steinbutt (der hier lediglich als proteinreiche Füllung benötigt wird) mit Graupen. Die als "Meeresfrüchte" versammelten Jacobsmuschel, Garnelen und Oktopus sorgen mit Fregola Sarda-Nudelkügelchen in tomatisierter Krustentier-Bisque für einen mediterranen Moment.
Als Gruß aus Japan könnte man "Matcha Crème Brûlée" verstehen, wenn die Küche sie nicht zu einem Zitronenpudding auf Abwegen umfunktioniert hätte, dem sogar die herbe Note des grünen Teepulvers abgeht (Preise zwischen 14 und 42 Euro; Menü zwei Gänge 29 Euro, drei Gänge 39 Euro).

Erprobte Küche in bunter Optik
Die Gerichte haben vermutlich eine ausführliche Erprobungsphase hinter sich und schöpfen ihre Möglichkeiten – zumal in bunter Optik –vorzüglich aus. Obwohl ihre Bausteine sehr geschickt zusammengeführt, teilweise sogar eng verwoben sind, bleiben sie zumeist gut erkennbar – unter anderem an differierenden Temperaturen auf einem Teller.
Nicht immer gelingt es der Küche, die Vorzüge der Zutaten herauszustreichen oder der Freude am Ursprünglichen Ausdruck zu verleihen, dafür schafft sie es jedoch hervorragend, Ingredienzien sehr diverser Provenienz zu einem glaubwürdigen Stil zu vereinen.
Thomas Platt, rbbKultur