Ukraine - Eine kulinarische Reise © Knesebeck Verlag
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Vielfältige kulinarische Tradition - Ukrainische Kochbücher

Ukrainische Spezialitäten wurden lange der osteuropäischen Küche zugeordnet, wobei die Abgrenzung zur russischen Küche für Menschen ohne genauere Kenntnis des Landes eher unscharf war. Kein Wunder, dass seit einigen Jahren – und erst recht seit Russlands Überfall auf die Ukraine – das Bedürfnis gewachsen ist, mit der Sprache und der Kultur auch die ukrainische Küche hervorzuheben und zu würdigen.

So sind gegen Ende letzten Jahres mehrere ukrainische Kochbücher erschienen, die die vielfältige kulinarische Tradition abbilden, als Bestandteil einer eigenständigen kulturellen Identität, die dem Land von Russland prinzipiell abgestritten wird.

"Mamusia" - der Mutter gewidmet

Die Bücher setzen oft den Akzent vor allem auf die bodenständige, ländlich betonte Familienküche, selbst wenn die Autorinnen und Autoren in der gehobenen Gastronomie unterwegs sind. So ergeben sich viele Überschneidungen, wobei ähnliche Rezepte mal traditionell, mal modern zubereitet und raffiniert angerichtet werden.

Köchin Olia Hercules lebt in London und arbeitet u.a. mit dem Star-Koch Yotam Ottolenghi zusammen. Sie widmete bereits 2014, zu Beginn der Krim-Krise, ihr Debüt-Kochbuch "Mamuschka" der traditionellen Küche ihres Landes. In der neuen Auflage des Kochbuches (September 2022) ist der Titel auf Ukrainisch verfasst - "Mamusia" - mit einer Widmung an ihre Mutter, die in der kriegserschütterten Südukraine verharrt, und an alle Mütter, die die traditionellen Rezepte hüten, fortschreiben und in die moderne Welt übertragen.

So gibt es zu seltenen traditionellen Zutaten auch Vorschläge darüber, womit sie ersetzt werden können: Senfkörner statt Meerrettichblätter, Renekloden statt Alucha-Pflaumen, brauner Zucker statt Rübensirup.

Olia Hercules‘ Küche ist kein einheitliches Gebilde: Sie verkündigt keine in sich verschlossene kulinarische ukrainische Identität.

Kochen ohne Grenzen

Es sind die Rezepte ihrer Familie und Verwandtschaft, die sie bewahren will, und da sie sibirische, jüdische und moldawische Wurzeln und Verwandtschaft in Armenien hat, entfaltet sich ihre Familienküche in einem kulturellen Raum, der über die Grenzen der Ukraine hinaus reicht. Nicht umsonst vermerkt die Autorin, bedeutet das Wort Ukraine "Grenzland" - wobei sich die Grenzverläufe im Laufe der Jahrhunderte immer wieder änderten. So war es möglich, "in der Tschechoslowakei zur Welt zu kommen, in Ungarn zu heiraten und in der Sowjet-Ukraine zu sterben", ohne das eigene Dort einmal verlassen zu haben, wie eine Bekannte der Autorin über die eigene Großmutter erzählt.

"Mamousia" fokussiert die regionalen Besonderheiten, die stark von den verschiedenen Landschaften und Klimazonen bedingt sind: kühler und voller Wälder und Sumpfgebiete der Norden, gemäßigt kontinental die Steppen in der Mitte, flach und mediterran-warm der Süden. Die Spezialitäten der vielen Minderheiten, u.a. der Krim-Tataren und den koreanischen Migranten, werden ebenso berücksichtigt wie die Überschneidungen mit den kulinarischen Traditionen von Nachbarländern wie Moldau, Georgien, Armenien, Türkei, Aserbaidschan und Usbekistan. Gewürdigt werden auch die Verbindungen zu Russland und die Rezepte, die zu sowjetischer Zeit kursierten und sich, etwas angepasst, noch bis heute bewährt haben.

Die Kunst der Konservierung

Wie eine Reise durch die Esskultur des Landes liest sich auch "Ukraine", ein anspruchsvoll bebildertes Buch, das in der Ukraine bereits 2020 erschienen ist (auf Deutsch erst 2022). Hier ist weniger die individuelle Erinnerung der Leitfaden, sondern die Absicht, die Esskultur im Kontext der Kulturgeschichte des Landes einzubetten. Zwischendurch äußern sich auch Kulturhistoriker:innen zu verschiedenen Aspekten der kulinarischen Tradition des Landes.

Die vier Autorinnen und Autoren spannen den Bogen von der Geschichte der Küche über die lokalen Besonderheiten, die sich bei den Zutaten, den Zubereitungen, der Art zu Würzen und zu konservieren. Ein besonderer Stellenwert haben der universelle Geschmacksgeber Speck und die vielen Milchprodukte, die Grundlage für vielerlei Gerichte sind: vor allem saure Sahne, die in Suppen und Salaten vorkommt, Buttermilch, Kefir, Molke und der selbstgemachte Frischkäse (Syr).

Olia Hercules‘ Erzählung über die Küche ihrer Familie setzt sie im Buch "Landküche" fort, das auch Ende 2022 erschienen ist. Hier ist die ländliche Sommerküche das Thema, mit den vielen Erinnerungen ihrer Kindheit, mit den Familienessen im Freien am Wochenende und all den Ritualen des Einmachens. Auch in postsowjetischer Zeit war Selbstversorgung lange unverzichtbar.

Der Brotkorb Europas

Selbstangebautes Obst und Gemüse, aromatische Kräuter wie Koriander, Brennnessel und Sauerampfer, Gewürze wie Chili und Kardamom, das viele Getreide, Hühner- und Ziegenhaltung lieferten die Zutaten für knackige Salate, kräftige Suppen und Eintöpfe, Konserven und unzählige Back- und Nudelspezialitäten, wie Pirogge und die ravioliartigen Warenyky. So beeindruckt die Vielfalt der Rezepte, die einzelne Zutaten in unzähligen Kombinationen und Zubereitungsarten präsentieren und dadurch von der enormen Kreativität einer ursprünglich armen Küche zeugen.

Sparsamkeit ist dabei immer noch ein wichtiges Kriterium: Rote-Bete-Blätter, Sonnenblumenstrunke und weitere "Reste" werden nicht entsorgt, sondern oft mitverwendet, Weniger begehrte Fleischteile wie Innereien oder Schweineohren werden zu Delikatessen zubereitet. Dabei überraschen beide Bücher mit einer Fülle an fleischlosen Rezepten, die Backwaren und vor allem Gemüse zelebrieren und diese Küche trotz ihres teilweise deftigen Images auch für Vegetarier attraktiv macht.

Veganisierte ukrainische Küche

So überrascht es nicht, wenn ein Kochbuch den Versuch unternimmt, die reichhaltige ukrainische Küche "vegan" zu interpretieren, ohne die Fülle der Aromen auf den Weg zu verlieren. In "Vegan Kochen – Ukraine" haben zwei Küchenprofis, die in der gehobenen Gastronomie aktive sind, die Herausforderung angenommen: ein deutscher Koch aus Düsseldorf, der sehr von der japanischen Küche beeinflusst ist, und eine ukrainische Köchin, die ihre Heimat Odessa verlassen musste.

Sie setzen auf die Ernteprodukte, die der besonders fruchtbare Boden der Ukraine in großer Menge und guter Qualität liefert: Sonnenblumenöl, aus gerösteten Samen frischgepresst eine besondere Delikatesse, Mohn, Walnüsse, Getreide, Gemüsesorten wie Kohl, Rote Bete, Kartoffel, Zwiebeln, Sellerie und Tomaten. Und Obst, das frisch oder getrocknet oft in der ukrainischen Küche auch in salzigen Gerichten verwende wird.

Konservierungsverfahren wie Trocknen, Fermentieren, in Essig einlegen, Pökeln und Räuchern verleihen dabei der Küche eine besondere, unverkennbare Note, die auch vegane Gerichte abrunden kann. Das gilt auch für den sehr mutigen Einsatz von Knoblauch, aromatischen Knoblauch-Kräuterpasten und Dips.

Gegriffen wird auch zu Standartzutaten der veganen Küche aus dem asiatischen und japanischen Raum wie Miso-Paste, Tamari- und Mirinsauce und Sake. Wo es möglich ist, werden hier Klassiker wie Borschtsch, Soljanka und Warenyky vegan umgesetzt, mit dem Vorhaben, den Geist – und auch die Textur - des Rezeptes zu bewahren, ohne zum bloßen fleisch-, eier- und milchlosen Abklatsch des Originalen zu werden. Für Verzichtet wird aber auf Rezepte, bei denen Fleisch die zentrale Rolle spielt.

Für Menschen, die der bodenständige, reichhaltige Charakter ukrainischer Hauptgerichte nicht zuspricht, sind die "veganisierte" Versionen jedenfalls empfehlenswert. Allerdings setzt die Zubereitung und die Verwendung vieler Ersatzprodukte (z.B. Bohnenwasser statt Eiweiß zum Binden, vegane Mayonnaise, veganes Hack) eine gewisse Vertrautheit mit den Basics der veganen Küche.

Der Zankapfel der osteuropäischen Küche

Ein zusätzlicher Grund der Spannung zwischen der Ukraine und Russland ist bereits sehr Jahren der vermeintliche Ursprung des berühmten Eintopfes namens Borschtsch. Obwohl bekannt ist, dass dieser Klassiker im gesamten Osteuropa und Vorderasien vorkommt, in verschiedenen Varianten, sind es vor allem die zwei Länder, die die Erfindung des Borschtsch für sich beanspruchen. Nachdem Russland 2019 im offizieller Twitter-Account das Gericht zu "einer der bekanntesten Speisen Russlands" bezeichnete, hat die Ukraine das Gericht von der UNESCO zum immateriellen ukrainischen Kulturerbe erklären lassen.

Massgeblich an dieser Kampagne beteiligt ("Make Borschtsch, Not War!") war der Starkoch Ievgen Klopotenko, der Jamie Oliver der Ukraine. Die Sowjetunion habe seiner Meinung nach versucht, die ukrainische Küche auszulöschen - entsprechend fehle es seinen Landleuten das Wissen und der Stolz um ihre Küche. Zusammen mit Mitstreitern hat er Rezepte in der gesamten Ukraine gesammelt. Er wollte die Vielfalt und das Reichtum der traditionellen Küche dokumentieren, um jenen Mitbürger:innen zu widersprechen, die überzeugt sind, ihre Heimatküche würde nur aus Borschtsch und Knödel bestehen.

Klopotenko bestreitet nicht, dass die ukrainische Küche auch Einflüsse aus anderen Kulturkreisen aufgenommen hat, sieht aber in der Esskultur seines Landes einen wesentlichen Bestandteil nationaler Identität. Für das 2021 erschiene Kochbuch "Ukrajina – Eine kulinarische Liebeserklärung an die Ulkraine" hat er 70 Rezepte aus verschiedenen Regionen ausgewählt, traditionell aber mit der Finesse und der Ästhetik der gehobenen Küche zubereitet. Über Entdeckungen und Erkenntnisse aus seiner Recherche erzählt er mal liebevoll, launig und überengagiert.

Elisabetta Gaddoni, rbbKultur

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