Senf © Elisabetta Gaddoni
Elisabetta Gaddoni
Bild: Elisabetta Gaddoni

Heilmittel und Gewürz - Die unterschätzte Schärfe: Senf

Chili und Pfeffer haben die Schärfe der südländischen Küche auch im Norden vertraut gemacht. Das heißt aber nicht, dass traditionelle nördliche Küchen nur milde Gerichte kannten. Lange bevor exotische Gewürze bekannt und erschwinglich wurden, sorgten im Norden andere Zutaten für scharfe Akzente: Zwiebel, Meerrettich und vor allem Senf. Lange sowohl als Delikatesse als auch als Heilmittel hochgeschätzt, ist Senf in letzter Zeit etwas in Vergessenheit geraten. Dabei lohnt es sich, die Vielfalt der Aromen zu entdecken, mit denen Senf hervorragend harmoniert – jenseits von Vinaigrette und Marinade.

Menschen, die keinen sogenannten grünen Daumen haben, dürften an Senfpflanzen Genugtuung finden: Es reicht, Samen zu streuen – und nach kurzer Zeit gedeihen aus ihnen prächtige Pflanzen. Die Belohnung sind die jungen Triebe, die geerntet werden sollten, bevor die Blüte aufgeht. In Olivenöl angedünstet erinnern sie an Cime di Rapa und sind in Süditalien ein Muss im Frühling.

Vermutlich kam Senf aus Asien nach Europa und wurde von den römischen Legionen im ganzen Römischen Reich verbreitet. In Indien und China wurden die Samen schon vor mindestens 3.000 Jahren angebaut. Die vielen Erwähnungen in den Schriften des Altertums zeigen, dass die Pflanzen und ihre Samen in vielen Regionen bekannt waren. Die alten Römer, die Senf vermutlich aus Ägypten mitgebracht und im ganzen römischen Reich verbreitet hatten, schätzten die Samen sowohl als entzündungshemmendes Heilmittel als auch als verdauungsförderndes Gewürz.

Heilmittel und Gewürz

Spätestens im Mittelalter wird die Senfpflanze überall in Europa angebaut, und es sind viele verschiedene Grundrezepte dokumentiert, in denen Senfsamen erst mit Salz, Essig oder mit unreifem oder unvergorenem Traubensaft (Most, daher das Wort "Mostrich") eingelegt und dann zu einer "brennenden Paste" gemörsert wurden. Dazu kommen weitere Zutaten, die schon damals für ein ungewöhnlich vielfältiges Angebot gesorgt haben.

Alexandre Dumas (der Ältere), Autor berühmter Romane wie "Die drei Musketiere" und des Kochbuchs "Grand Dictionnaire de Cuisine", berichtet von einem Restaurantessen in Dijon um 1850, bei dem Senf in "84 Sorten für Herren und 29 für Damen" angeboten wurde: "Kapern- und Sardellen-Mostrich, mit Knoblauch, mit Estragon, mit feinen Kräutern, mit Zitronenöl, mit Pilzen, süßsauer, à la ravigote, à la grècque, roter Senf und pulverisierter, mit Wasser angerührter".

Senf für jeden Geschmack

Die Stadt Dijon, die seit dem 13. Jahrhundert das Monopol für die Senfproduktion innehatte, entwickelte im Laufe der Zeit Senfspezialitäten in vielen Varianten, die weltweit bekannt geworden sind. Im 18. Jahrhundert spezialisierte sich in Deutschland die Stadt Düsseldorf auf die Produktion eines etwas weniger scharfen Senfs. Mittelscharf ist auch der traditionelle "Bautzner Senf", während dem süßen "Weißwurstsenf" aus Bayern brauner Zucker bzw. Karamellzuckersirup beigemengt wird. Auch in Skandinavien, Frankreich, Österreich und Tschechien kennt man verschiedene Sorten süßen Senfs.

Der schärfste Senf wird wohl in Großbritannien hergestellt und wird zu Roastbeef oder Schinken gereicht. In Italien ist Senf als Würze kurioserweise unterrepräsentiert. Senfkörner waren dort früher vor allem Konservierungsmittel und damit wurden im Norden traditionell süßsaure Fruchtkonserven abgeschmeckt, die den Namen "Mostarda" tragen.

Senf als würzige Paste hat sich erst ab den 1970er/80er Jahren als Industrieprodukt verbreitet. Bei allen verschiedenen Geschmacksrichtungen beschränkt sich die Zubereitung auf zwei Grundverfahren: Entweder werden ganze Samen verwendet, mit oder ohne Schale, oder welche, die vorher entölt worden sind. Meist werden die Samen zu einer Creme gemahlen: für den österreichischen Kremser-Senf nur grob gemörsert, für den körnigen Rotissiersenf fast ganz belassen.

Der Schärfegrad entscheidet das Mischverhältnis von milderem hellem Senf und scharfem braunem Senf. Der milde weiße, von den Puristen nicht als echter Senf betrachtet, wird vor allem in den USA verwendet. Dijonsenf darf nur aus braunem Senf sein, während schwarzer Senf so schwer im Anbau ist, dass es ihn fast nur als Wildpflanze gibt.

"Ruhende" Schärfe

Senfsamen schmecken an sich eher mild und nussig: Die Schärfe entwickelt sich erst, wenn sie gemahlen in Kontakt mit Wasser kommen. Bei den sonstigen Zutaten, die den Geschmack der Senfcreme beeinflussen, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Mit ganzen Körnern oder mit feinem Senfmehl lässt sich auch zu Hause Senf nach eigenem Geschmack rühren – ob mild und süsslich, zum Beispiel mit Akazienhonig, oder englisch-scharf, wie ihn der Philosoph Immanuel Kant bevorzugte und eigenhändig zubereitet haben soll.

Aber nicht nur das: Senfmehl, in kleinen Mengen beigemengt, kann Nudel- oder Brotteig eine interessante aromatische Nuance verleihen. Geröstete und gemörserte schwarze Samen können den Geschmack von Panaden bereichern.

"Senf geben" muss nichts Negatives sein – selbst wenn die Redewendung es heute suggeriert. Sparsam und harmonisch verwendet bereichert Senf viele Gerichte. Anders als es der kräftige Klecks bei Bratwurst und Frikadelle tut, dessen primäre Aufgabe es ist, mit Schärfe den dürftigen Geschmack des Fleisches zu kaschieren.

Elisabetta Gaddoni, rbbKultur

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