Christine Lagarde und Angela Merkel © picture alliance/ AA/ Maurizio Gambarini
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- Haben 16 Jahre Angela Merkel die Geschlechterverteilung in der deutschen Politik verändert?

Ist eine Bundeskanzlerin ein so attraktives Vorbild, dass junge Frauen verstärkt in die Politik drängen? Leider nein: Der Frauenanteil in deutschen Parlamenten stagniert seit langem. In einigen Ländern Afrikas oder Südamerikas sieht es mit dem Frauenanteil deutlich besser aus. Warum ist das so? Welche Faktoren sorgen für mehr Frauen in der Politik?

"Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Aus der Tatsache, dass es mich gibt, darf kein Alibi werden", so drückte es Bundeskanzlerin Angela Merkel 2018 aus, als sie anlässlich "100 Jahren Frauenwahlrecht in Deutschland" auf die aktuelle Geschlechterverteilung in der Politik schaute. Ihre Bilanz: Eine einzelne Frau an der Spitze reicht nicht aus, um Parität zu erreichen. Ganz im Gegenteil: Der Bundestag ist mit einem Frauenanteil von 31,4 % männlicher als bei ihrem Amtsantritt vor 16 Jahren. Im weltweiten Ranking der Inter-Parliamentary Union belegt Deutschland den 47. Rang von 187 Ländern bei der Geschlechtergerechtigkeit im Parlament. "Wir müssen aufpassen, dass wir in unserer manchmal fast überheblichen Art in Europa nicht immer denken, dass es woanders vielleicht noch nicht so gut ist," merkt Angela Merkel mit Blick auf die weltweite Politik an. Vor allem Parlamente aus Afrika und Südamerika stehen auf den vorderen Plätzen des IPU-Rankings.

Dass der Frauenanteil im Bundestag im Vergleich zu 2005 zurückgegangen ist, lässt sich teilweise auf die Zusammensetzung des Parteienspektrums zurückführen. Im aktuellen Bundestag sind Parteien stark vertreten, die bislang keine interne Frauenquote festgelegt haben. Dazu zählen CDU (21% Frauenanteil), FDP (23% Frauenanteil) und AFD (10% Frauenanteil). Während die CDU allerdings eine lockere Quotierung hat, lehnt die AFD eine Frauenquote gänzlich ab. So stellt die AFD im Berliner Abgeordnetenhaus beispielsweise ebenso viele Franks wie Frauen auf.

Elke Ferner, Vorstandsmitglied des Deutschen Frauenrats, erklärt mit Blick auf die Beteiligung von Frauen: “Wenn man etwas weiter zurückgeht, hat es einen ersten Sprung Ende der 80er-Jahre gegeben, als Die Grünen ins Parlament eingezogen sind, die von vornherein eine Quote hatten. Einen zweiten Sprung gab es dann, als die SPD eine Frauenquote eingeführt hat. Wenn es keine Verbindlichkeit in der parteiinternen Satzung gibt, bleibt der Frauenanteil niedrig.”

Doch auch mit einer Quote ist nicht automatisch für Gleichstellung gesorgt. Das sogenannte Reißverschlussprinzip, bei dem abwechselnd ein Mann und eine Frau nominiert werden, bezieht sich nur auf Listenplätze. Wesentlich entscheidender bei den Wahlen sind aber die Direktkandidaturen, so Elke Ferner: “Bei den Direktmandaten kandidieren weniger Frauen als Männer.” Das führt zu dem Phänomen, dass der Frauenanteil bei den Mandaten zum Teil steigt, wenn eine Partei mit Quote schlecht bei einer Wahl abschneidet. Denn wenn weniger Posten über die Erststimme besetzt werden, bleiben mehr Plätze frei, um über die quotierten Listen der Parteien selbst besetzt zu werden. Wenn eine Partei mit ihren Kandidat:innen, also mit der Erststimme, bei den Wähler:innen punktet, so sinkt der Frauenanteil allgemein durch die unquotierten Direktmandate. Die Quote bezieht sich also nur auf Listenplätze und daher ist es eine innerparteiliche Entscheidung. Ein Parité-Gesetz, das auch die Direktmandate quotiert, gibt es momentan nicht. Dieser Kontrast wir deutlicher, wenn wir CDU und SPD noch einmal genauer betrachten, also eine Partei mit und eine ohne Frauenquote.

Die Paritätsentwicklung von CDU und SPD

Man könnte vermuten, dass der Erfolg von Angela Merkel andere Frauen dazu inspiriert hat, Spitzenämter in der CDU zu erobern. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Egal ob auf Bundes-, Landes- oder Bezirksebene: überall hat die SPD mindestens einen doppelt so hohen Frauenanteil wie die CDU. An diesem Gegensatz haben auch 16 Jahre weibliche Führung nicht gerüttelt. Das Ergebnis: Die Zahlen von 2005 und 2021 sind erstaunlich konstant: Während 2005 im Berliner Abgeordnetenhaus gerade mal 6% der CDU-Abgeordneten weiblich waren, kam die SPD mit 48% einer Gleichstellung bereits sehr nahe. Heute sind es 10% (CDU) zu 39% (SPD). Elke Ferner fasst zusammen: "Ohne Quotenregelung laufen die Mechanismen erst mal so, wie sie seit Jahrzehnten laufen: Die Jungs teilen die Posten unter sich auf."

Abseits des Bundestages

Scheitern Politikerinnen in Parteien ohne Quote an der "Gläsernen Decke"? Werden sie also dort benachteiligt, wo es um Mandate, Macht und Bundestagsdiäten geht? In dem Fall müsste der Frauenanteil auf der Lokalebene höher sein als im Bundestag oder den Landtagen. Blickt man auf die Wahlstatistiken, ergibt sich ein anderes Bild: Auch in den Bezirksversammlungen und Kreistagen stagniert der Frauenanteil bei einem Wert, der von den 50% weit entfernt ist. Dabei bildet die politische Aktivität auf Bezirks- oder Kreisebene für viele Politik-Karrieren den Grundstein. Gleichzeitig ist der Zugang für Frauen deutlich schwerer, denn Kommunalpolitik bedeutet Ehrenamt und Feierabend-Termine. Die Vereinbarkeit von Lokalpolitik in einer klassischen Familienaufteilung stellt also eine besondere Herausforderung für Frauen dar. Gerade die Reaktionen auf die Kanzlerkandidatur von Annalena Baerbock zeigten deutlich, dass Mütter unter den Spitzenpolitiker*innen sich anderen Fragen und anderen Erwartungen stellen müssen als ihre Kollegen.

Auch den Aufstieg aus dem Ehrenamt ins Hauptamt bewertet die Frauenratsvorsitzende Elke Ferner als erschwert. Das liege nicht nur an mangelnden Quoten, sondern auch am mangelnden Selbstvertrauen der Frauen. “Es gibt seitens der Männer weniger Bedenken. Deswegen schaffen sie es schneller nach oben. Die Erfahrung zeigt, dass Frauen in der Regel noch eine zweite oder dritte Ansprache brauchen.”

Es gibt vielfältige Faktoren dafür, dass der Frauenanteil auf allen politischen Ebenen unter 50% liegt. Dass eine Quote ein erster Schritt ist, zeigt die Bilanz von SPD, Grünen und Linker deutlich. Kein Zufall also, dass die einzige Kanzlerkandidatin aus einer Partei mit Quote kommt.