Französische Schriftstellerin - Literatur-Nobelpreis 2022 an Annie Ernaux
Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux erhält den diesjährigen Literaturnobelpreis. Das teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit. Die 82-Jährige gilt als eine der bedeutendsten französischsprachigen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Zu ihren auch in Deutschland bekannten Werken zählen "Der Platz", "Erinnerung eines Mädchens" und "Die Jahre".
In der Begründung der Schwedischen Akademie heißt es, Ernaux bekomme den Preis für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Beschränkungen der persönlichen Erinnerung aufdeckt. Sie selbst bezeichnete sich einmal als "Ethnologin ihrer selbst". In diesem Jahr stellte sie zudem bei den Filmfestspielen von Cannes ihre autobiografische Dokumentation "The Super 8 Years" vor.
Ernaux' Bücher schaffen es regelmäßig auf deutsche Bestsellerlisten. Eines ihrer jüngsten auch in Deutschland erschienenen Werke trägt den Titel "Das Ereignis". Das Buch handelt von den fast schon grausamen Versuchen der Autorin abzutreiben, in einer Zeit, in der die Abtreibung noch als unmoralisch und kriminell betrachtet wurde. Verfilmt wurde die Geschichte von Audrey Diwan, die dafür im vergangenen Jahr den Goldenen Löwen des Filmfestivals von Venedig erhielt.
Ernaux wurde 1940 in Lillebonne in der Normandie geboren und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Ihr Vater verdiente den Lebensunterhalt als einfacher Arbeiter. Ihre Kindheit war geprägt vom frühen Tod ihrer älteren Schwester. Nach dem Studium der Neueren Literatur wurde sie Gymnasiallehrerin.
1974 erschien ihr erster Roman "Les armoires vides" (dt. "Die leeren Schränke"). Als sie sich 1980 scheiden ließ, war sie Mutter von zwei Kindern. 1984 erschien "La Place" (dt. "Der Platz"). Der Roman, für den sie den renommierten Renaudot-Preis erhielt, handelt von ihrem Vater und ihrem eigenen sozialen Aufstieg. In "Eine Frau" beschwört sie die Erinnerungen an ihre Mutter herauf, in "Passion simple" ihre Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann.
Rückschau auf 60 Jahre Leben
Zu ihren erfolgreichsten Büchern gehört "Les années", "Die Jahre", aus dem Jahr 2008. Das Werk ist eine Rückschau auf 60 Jahre ihres Lebens, ein Blick auf eine Frau, die sich verändert – zusammen mit der Welt.
Als Ernaux 2019 mit dem deutsch-französischen Prix de l'Académie de Berlin ausgezeichnet wurde, lobte die Jury ihre Schriftstellerei als "hochmoderne, gewagte, meisterlich komponierte Literatur, die von Klassenkämpfen, den Zumutungen kultureller Differenz und der Emanzipation der Frauen erzählt".
Von 1901 bis 2021 wurden Literaturnobelpreise an 118 Personen vergeben. Darunter waren 16 Frauen, in diesem Jahr kommt mit Ernaux die 17. hinzu. Im vergangenen Jahr hatte der tansanische Schriftsteller Abdulrazak Gurnah die Auszeichnung erhalten.
Die Nobelpreise sind jeweils mit umgerechnet 920.000 Euro dotiert. Alle Nobelpreise werden am 10. Dezember verliehen – dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.