
Fotoband - Peter Mathis: "Schnee"
"Weiße Weihnachten" bleiben wohl auch in diesem Jahr nur eine schöne Erinnerung an alte Kindertage. Und die Skier können wir in diesem Winter auch im Keller stehen lassen, denn solange die Corona-Pandemie unseren Alltag und unsere Freizeit bestimmt, können wir uns den Urlaub in den Bergen abschminken. Wer aber von seinem Gespür für Schnee nicht lassen mag und seine Sehnsucht nach der weißen Pracht unbedingt stillen will, dem sei der im Prestel Verlag erschienene Fotoband von Peter Mathis ans Herz legen. Der Titel des prachtvollen Fotobuches lautet schlicht und einfach: "Schnee".
Den Schnee, den wir in der norddeutschen Tief-Ebene seit Jahren so vermissen, hat Mathis vor allem dort gefunden und fotografiert, wo er geboren wurde, aufgewachsen ist, heute noch lebt und sein eignes Atelier hat: in Hohenems/Vorarlberg. Aber seine Schnee-Foto-Recherchen führen ihn auch in die Dolomiten, die Lechtaler und die Berner Alpen, ins Ötztal und ins Rätikon. Wahrscheinlich kennt er jeden Berg in den Alpen und weiß genau, wann es wo schneit, wie dort zu verschiedenen Tages- und Nacht-Zeiten der Schnee beschaffen ist, ob er sich dann dazu eignet, zum Bild-Motiv zu werden. Aber er ist auch im schottischen Hochland unterwegs, in British-Columbia, in Alaska.
Nach einer Ausbildung zum Schreiner war Mathis erst Kletterer und Ski- und Snowboard-Fahrer, später hat er sich mit spektakulären Sport-Foto in der Szene einen Namen gemacht. Dann, vor einigen Jahren, hat er sich immer weiter spezialisiert und fokussiert: auf den Schnee, der die Landschaft, die Natur, den Berg bedeckt, einhüllt, Struktur gibt, der immer wieder, je nach Wetter, Jahreszeit und Licht, anders aussieht, neue Formen annimmt und die Welt in ihrer ganzen Schönheit und Rätselhaftigkeit zeigt. Er versteht sich als "Schatz-Sucher und Momente-Sammler", der zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und Fotos schießt, die einzigartig und nur in dieser einen Sekunde möglich sind, wenn alles stimmt: Licht, Stimmung, Schneebeschaffenheit.
Licht und Dunkelheit
Oft wartet er Stunden und Tage, immer wieder steigt er auf den Berg, baut seine Kamera auf, sucht nach dem perfekten Moment: am besten nachdem der Schneefall aufgehört hat, alles unberührt daliegt, die Natur, der Berg, die unter dem Schnee fast begrabenen Hütten und Häuser wie archaische Fundstücke aussehen. Oder wenn plötzlich Nebel aufkommt und alles zu einer diffusen, endlosen, undurchdringlichen und unwirklichen Landschaft wird. Oder wenn die Sonne schräg steht und sich scharfe Kanten und dunkle Schatten in den Schnee graben und der Schnee zwischen grellem Licht, grauen Flächen und schwarzen Abgründen changiert.
Es geht immer um Licht und Dunkelheit, Kontraste, Konturen, Strukturen, um mystische Stimmungen, die uns die Welt anders und neu erscheinen lässt, uns ins Staunen und Träumen bringt, Ehrfurcht einflößt vor der Schöpfung und der Natur. Um das scharf und klar herauszuarbeiten, fotografiert Mathis nie in Farbe, immer nur Schwarz-Weiß: nur so wirken schneebedeckten Berge und Bäume wie geheimnisvolle Zeichen einer Sprache, die wir nie verstehen werden, sehen die Hütten und Häuser der Menschen aus wie vergebliche Versuche, der Natur zu erobern. Nur so sieht der Schnee aus, als würden Wellen auf einem weißen Meer tanzen, oder als lägen unterm Schnee rätselhafte Körper von unbekannten Wesen, die sich erschöpft niedergelegt haben und einen tiefen erholsamen Schlaf halten.
Unbekannte neue Dimension
Die wenigen Menschen sind nur Statisten, kleine anonyme Spielzeugwesen, die mit ihren Skiern wunderschöne Spuren im Schnee hinterlassen, die den Schnee aufwirbeln, die aber auch Lifte in den Berg rammen, Ski-Pisten in den Schnee fräsen und Schutzzäune bauen. Manchmal fotografiert er von ganz oben, von einer Bergspitze aus und blickt wie ein Adler auf die seltsamen Ski-Touristen, die nur kleine schwarze Punkte sind in einer gigantischen weißen Weite.
Manchmal stapft er auch mit einem befreunden Ski-Fahrer auf den Berg und wartet darauf, dass Sonne und Licht genau richtig sind und dieser eine Skifahrer bei seiner halsbrecherischen Abfahrt eine ganz frische Spur zieht, sich in einem Schnee-Gestöber verliert und es erscheint, als würde der Mensch in eine unbekannte neue Dimension vorstoßen.
Die Fotos erinnern an die Kunstwerke von Christo
Immer wieder Fotos vom Schnee: und nie wird es langweilig. Es ist wie bei musikalischer Minimal Art, die durch die endlose Variation des Immer-gleichen auch einen ungeheuren Sog entwickelt und einen in den Bann zieht. Mathis sucht nach der Essenz des Schnees und verwandelt die Berg- und Schnee-Landschaften in malerische Leinwände. Die Fotos erinnern an die Kunstwerke von Christo, denn auch bei den Mathis geht es darum, zu verhüllen, um die darunter verborgenen Dinge in ihrem Wesen und in ihrer Bedeutung zu enthüllen und sie uns neu sehen zu lassen:
Die aus dem Schnee herausragenden Felsen und Bergkuppen; die fast unter der Schneelast zusammenbrechenden Bäume; die im Schnee versunkenen Berghütten; die von Schnee und Eis bedeckten Disteln und Büsche, Pistenraupen und Gondeln; die sich durch den Schnee kämpfenden Gestalten, die kaum noch als Menschen kenntlich sind und nur seltsam archaische Spuren im Schnee hinterlassen: Man ahnt, was sich unterm Schnee verbergen könnte, alles wirkt fremd und doch vertraut, man sieht alles neu und anders: faszinierend und schön, man sehnt sich die Kälte regelrecht herbei und hat nur noch den einen Wunsch: Teil dieser grandiosen Schneelandschaften zu sein.
Frank Dietschreit, rbbKultur