Lisa Eckhart: Boum © Zsolnay
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Roman - Lisa Eckhart: "Boum"

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Die Kabarettistin Lisa Eckhart provoziert gerne und ist so umstritten wie erfolgreich. Jetzt legt die Österreicherin, die in Leipzig wohnt, ihren zweiten Roman vor: „Boum“. Sie fackelt ein Feuerwerk der Fantasie ab und lässt es knallen – ist dabei aber zu sehr auf Provokation und Effekt aus, findet Literaturkritikerin Nadine Kreuzahler.

Lisa Eckhart provoziert gerne, das ist hinlänglich bekannt. Für eine Pointe baut die gebürtige Steiermärkerin, die in Paris und London gelebt hat, auch antisemitische Stereotype in ihre Bühnen-Witze ein. Ihre Fans und auch sie selbst sagen, sie greife diese Stereotype auf um sie zu brechen. Ihre Kritiker entgegnen, sie reproduziere diese bloß. Die 29jähriges ist als Kabarettistin also so umstritten wie erfolgreich. Natürlich ist man beim Lesen ihres Romans nicht frei von diesen Hintergründen. Schon im ersten Absatz lässt sie es knallen:

"Frankreich strotzt nicht vor Serienmördern. Es kursieren zwar Listen, die das Gegenteil behaupten, doch gilt es, diesen zu misstrauen. Sieht man etwas genauer hin, entdeckt man darin rasch die vielen ordinären Kriegsverbrecher und ungeschickten Mediziner. Wahre Serienmörder dagegen, die dieses Titels würdig scheinen, hat die Grande Nation kaum zu bieten"

Ein fulminanter Auftakt. Im Verlauf des Romans wird die Lust am Provozieren, am Poltern und an der Pointenjagd aber so groß, dass dafür auf weiten Strecken der Plot geopfert wird.

"Maestro Massacreur" und die Katakomben von Paris

In ihrem ersten Roman "Omama" von 2020 ging es um die Biografie der Großmutter im ländlichen Nachkriegs-Österreich. In "Boum" wird nun ein Serienmörder in Paris als „Maestro Massacreur“ zum Medienphänomen. Er ermordet auf spektakuläre Weise einzig und allein Straßenmusiker*innen. Hier bekommt man es mit einem melancholischen Kommissar, einem paranoiden Terrorexperten namens "Boum" und einem publicity-hungrigen Pariser Bürgermeister zu tun, der die Morde als Stadtmarketing für Touristen entdeckt. Ein anderer Handlungsstrang dreht sich um die junge Österreicherin Aloisia, ein naives Landei, das der Liebe wegen nach Paris zieht und hier wortwörtlich in die Unterwelt gerät – in die berühmten Pariser Katakomben. Hier gleitet die Geschichte ins Surrealistische ab, als Aloisia beim Betteln von einem nur aus Torso bestehenden Menschen auf seinem Rollbrett, das von einem Hund gezogen wird, in die Pariser Unterwelt gezerrt wird.

"Vor ihnen erstreckt sich ein schier endloses Gewölbe. Es wimmelt und wuselt vor Getier und Gemensch. Aloisia bleibt stehen. Überwältigt von dem, was sie sieht, hört und riecht. Die Hundskutsche rattert ungebremst weiter und verschwindet in der Masse. Das ist wohl der passendste Ausdruck. Überall fließen Leiber zusammen, speien den anderen wieder aus und spalten sich dann nochmals selbst."

"Les Misérables" und "Die Dreigroschenoper" vereint

Der selbst ernannte König der Clochards, Clopin, erklärt Aloisia das Prinzip von oben und unten. Die Stadt Paris ist eine der Hauptprotagonistinnen. Die Welt der Bettelindustrie und des Elends ist eine satirische Mix-Version aus Victor Hugos "Les Misérables" und "Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht. Auf Hugo spielt Eckhart namentlich auch mehrfach an, sie lässt sogar Esmeralda aus dem Glöckner von Notre Dame auftreten.

Originell, vergnüglich und fantasievoll

Kurz darauf ist Eckhart schon bei ihrem nächsten Einfall, einer Parodie auf Heidi Klums Topmodel-Castings. Später lässt sie einen feministischen Protest auf einer Pariser Automesse entgleisen, wo Aloisia als Hostess arbeitet. Mag sein, dass Lisa Eckhart hier eigene Erfahrungen verwertet, wenn sie dieses antifeministische, frauenfeindliche Milieu sehr zugespitzt und böse vorführt. Während ihrer Pariser Studienzeit hat Eckhart selbst mal als Hostess auf einer Automesse gejobbt.

Die originellen Einfälle und die überbordende Fantasie von Lisa Eckhart bereiten Vergnügen. Sprachlich ist sie eloquent, aber diese Freude an sprachlicher Fülle kippt auch mal ins allzu selbstverliebte Pirouetten drehen. Zum Beispiel wenn sie den Vorgang des Weinens über eine ganze Seite dehnt, "Tränen rodeln mit Freude über gepuderte Gesichtchen".

Auf der Bühne ist Lisa Eckhart diese gestelzte Kunstfigur. Mit langen Fingernägeln, in 20er bis 30er Jahre Roben, stets glamourös frisiert, wirkt sie unnahbar und von oben herab. Diese Haltung setzt sich auch in der Sprache fort, die sie für ihren Roman verwendet.

Das Satire-Feuerwerk vernebelt den Plot

Die Satire funktioniert in einzelnen Episoden immer wieder gut, wenn sie unserer Zeit böse makaber den Spiegel vorhält, die Musikindustrie und Medienmechanismen aufs Korn nimmt oder die systematische Verdrängung von Obdachlosen aus dem Stadtbild von Paris. Leider türmt Lisa Eckhart so viel satirisches Material auf, dass nicht mehr erkennbar ist, was drunter liegt. Der Kern – falls es einen geben sollte - wird verschüttet. Die Geschichte wird zu oft dem nächsten Einfall und der nächsten Pointe geopfert. Noch dazu sind die Figuren unsympathische Naivlinge, Tyrannen, Menschenhasser, Rassisten oder Sexisten.

Derbheiten ist man von der Kabarettistin gewöhnt und wo sich die Gelegenheit für Anzügliches, Zotigkeiten, Fäkalprosa und Geschlechtsverkehr bietet, ergreift Lisa Eckhart sie in "Boum" sehr beherzt. An einer Stelle heißt es zum Beispiel:

"Neben seinem Gemächt steht erstmals sein Gewissen. Und es bleibt hart bis in der Früh".

Das kann man mögen oder auch nicht. Geschmackssache. Ebenso wie ihre Vorliebe für altmodische Begriffe und Wörter wie Weib, Knabe, Dirne, oder Strolch. Mit letzterem bezeichnet sie Grapscher auf der Automesse – an dieser Stelle im Text gelingt es ihr mit diesem verharmlosenden Begriff die oft immer noch gängige Verharmlosung im Umgang mit Missbrauch zu entlarven.

Problematische Provokationen sind Programm

Problematisch ist, dass Eckhart ihren Figuren allerlei rassistische Begriffe in den Mund legt, z.B. das N-Wort, ohne dass dies die Geschichte weiterbringen würde. Ärgerlich ist es auch, dass seitenlang Frauenfeindlichkeit ausgebreitet werden. Wohl dosiert kann es als Kritik an eben solcher noch durchgehen. Wenn allerdings seitenlang die Qualitäten von Prostituierten mit dem Vokabular aus Wein- und Sektkelterei beschrieben werden, aus dem Mund einer Puffmutter, also einer Frau, so genüsslich ausgewalzt, dass es nur noch abstoßend und unerträglich ist, dann ist es eindeutig überdosiert und hat keine andere Funktion mehr als zu provozieren und Unbehagen auszulösen.

Fazit

In den besten Momenten greift Eckhardt Phänomene der Zeit auf, um sie verpackt in eine krude, sich vor surrealen, mal mehr, mal weniger originellen Einfällen überschlagenden Geschichte, böse-ätzend zu kommentieren. Ab der Hälfte langweilen die immer neuen Verästelungen und Verschraubungen und sich ablösenden Gags allerdings. Die Lektüre ermüdet zusehends. Fans werden diesen Roman aber sicher lieben, denn er fühlt sich auf weiten Strecken wie ein sich auf 368 Seiten dehnendes Kabarettprogramm.

Nadine Kreuzahler, rbbKultur

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