Roman - Martin Mosebach: "Taube und Wildente"
"Taube und Wildente" - so heißt das neue Buch von Martin Mosebach. Darin beschreibt er die Sommerferien der Familie Dalandt in der Provence - bis bei dem Ehepaar ein Streit entsteht - über ein Gemälde. Doch dieser Streit geht tiefer. Ein Buch über Schuld, Liebe und Verlust.
Es gibt keine einzige Figur in dieser kleinen Gesellschaft, die sympathisch wäre. Das ist man aus den Romanen von Martin Mosebach so gewöhnt. Mosebach hat sich auf den Verfall spezialisiert, auf moralisch Anrüchiges, auf bürgerliche Dekadenz. Das aber geschieht stets in einer kostbaren Sprache und in ausgewählter Kulisse, mit Sinn für erlesene Details und guten Geschmack.
Verfall, moralisch Anrüchiges, bürgerliche Dekadenz
"Grausamkeit. Zuschauen, wie etwas Schönes zerfetzt wird", lautet der erste, durchaus programmatische Satz, notiert von einer der Hauptfiguren, dem Verleger Ruprecht Dalandt, der in einem Landhaus in der Provence beobachtet, wie eine Katze mit einer Zikade spielt und sie genüsslich umbringt.
Dalandt, Mitte 60, trägt das silberne Haar halblang. Er leitet den Verlag Papyros Press, der sich mit feinen Bildbänden und hermetischer Lyrik Renommee und kulturelles Kapital erarbeitet hat. Verkaufbarkeit ist nicht so wichtig, denn Dalandts Frau Marjorie ist Erbin eines beträchtlichen Familienvermögens, das ein paar Generationen zuvor mit dem Abbau von Bodenschätzen im Kongo und der Ausbeutung der dortigen Arbeiterschaft erworben worden ist. Seither gibt es nichts mehr zu tun als den Reichtum zu verwalten. Dabei ist Marjorie jedoch an eine Stiftung gebunden, der auch das Haus in Südfrankreich gehört.
Von Neid, Missgunst und Lieblosigkeit gezeichnete Figuren
Außer dem sich in langjährig eingeübter Äquidistanz kaum noch verbundenen Ehepaar versammeln sich dort Marjories unnahbare Tochter Paula mit Enkelin Nike und ihr unbedarfter Freund, der Möchtergernpianist Max; die Verlagsmitarbeiter Fritz Allmendinger und Sieglinde Stiegle, die sich schließlich aus nichts als berufskarrieristischen Gründen im Dienst einer Großintrige verheiraten; ein englischer Maler, der Cezanne-Skizzen für Touristen kopiert und im Haus an den Wänden herummarmoriert; sowie das etwas muffige portugiesische Hausverwalterehepaar Dos Santos.
Diese von Neid, Missgunst und Lieblosigkeit gezeichneten Figuren sind damit beschäftigt, sich zu belauern und in fragwürdige amouröse Beziehungen zu verstricken: Ruprecht mit der knapp 40 Jahre jüngeren Stieftochter, Marjorie mit dem Engländer, aber all das ohne tiefere emotionale Beteiligung. Das liest sich in der wechselseitigen Kühle, mit der reihum die persönlichen Defizite katalogisiert werden, wie Prosa von Thomas Mann, dem Mosebach als Niedergangsexperte nachstrebt.
Ein Gemälde, das besondere Aufmerksamkeit erregt ...
Im Zentrum der Aufmerksamkeit, jedenfalls von Ruprecht, steht ein Stillleben in Öl, "Taube und Wildente", das zu der von Marjories Großvater angelegten Kunstsammlung gehört. Das Bild des eher unbedeutenden Malers Otto Scholderer erregt Ruprechts besondere Aufmerksamkeit. Er verliebt sich in die Grautöne, in die materielle Schwere der toten Tierkörper und in die Licht- und Schattenverhältnisse. Doch Marjorie will ausgerechnet "Taube und Wildente" verkaufen, um die notwendige Dachreparatur bezahlen zu können. Das Bild wird zum Spielball und zum Einsatz in dieser Eheentfremdung, so dass Ruprecht beschließt, es selbst zu kaufen – mit Geld, das als Förderung für ein Verlagsprojekt eingeworben worden war.
Mosebach schreibt gewissermaßen mit Einstecktüchlein und manikürten Fingernägeln
Die eigentliche Tragödie dieser Figuren ereignet sich aber nicht auf der Handlungsebene, auch wenn diese kleine, reiche Welt am Ende in Wasser und Feuer mit großem Getöse zu Grunde geht. Die Tragödie besteht vielmehr darin, dass jedes Bemühen um Distinktion vergeblich ist.
Alles, was Ruprecht, Marjorie und ihre Gäste tun, um sich einen kulturvollen Raum zu schaffen, ist längst spießig geworden: das Reisen und der Aufenthalt im Mittelmeerraum – Mosebachs bevorzugter literarischer Region – sowieso, aber auch das Verlegen hochgeistiger Marginalia und das Sammeln von Kunst. Letzteres ist entweiht dadurch, dass es eher einer Aktienanlage gleicht, als dass es etwas mit Ästhetik und Geschmack zu tun hätte. Weil alle Distinguiertheitsmerkmale zum Massenphänomen herabgesunken sind, bleibt nur noch die Ausflucht in Skurrilitäten.
Das Bedauern über den Verlust von Schönheit prägt Mosebachs Stil. Er schreibt gewissermaßen mit Einstecktüchlein und manikürten Fingernägeln. "Beträchtlich" ist eines der Worte, die er bevorzugt. Ob Wertzuwachs, Altersunterschied, Prestige oder Distanzen – alles ist so "beträchtlich" wie diese Prosa selbst. Mosebachs stets auf Vornehmheit bedachten Sätze leuchten wie der Samtbeschlag an der Wand, den Ruprecht anbringen lässt, um "Taube und Wildente" besser zur Geltung zu bringen.
Große Kunst - oder großer Kitsch?
Die Spannung dieser Prosa liegt in der Sprache selbst, weil nicht zu unterscheiden ist, ob Mosebach das wirklich so meint, oder ob er damit seine Figuren kennzeichnet, ob der Ekel, den er damit hervorruft, beabsichtigt oder unfreiwillig ist. Stil und Inhalt entsprechen sich vollständig. Die Dekadenz ist diesem Stil ebenso eingeschrieben wie die emotionale Distanz, an der noch die größten Gemeinheiten und Katastrophenszenarien abperlen. Es geht den Protagonisten und mit ihnen Martin Mosebach um "Haltung", und so ist es schon der Gipfel der Gefühlsausbrüche, wenn Marjorie am Ende, als sie dann doch noch einmal, allerdings ohne ihn zu berühren, neben Ruprecht liegt und meint, ein Lächeln bei ihm identifiziert zu haben.
Man kann das für große Kunst oder für großen Kitsch halten. Reizlos ist es nicht – genau wie "Taube und Wildente" von Otto Scholderer.
Jörg Magenau, rbbKultur