Ein Gedichtzyklus - Volker Braun: "Luf-Passion"
Luf ist eine winzige Insel im Pazifik, die heute zu Papua-Neuguinea gehört. 1880 lebten dort auf sechs Quadratkilometern etwa 400 Menschen, 20 Jahre später waren es nur noch knapp 100. Damals gehörte Luf zum deutschen Kolonialgebiet. Das hieß, dass die Handelsgesellschaft Hernsheim & Co sich das Land und seine Bewohner zu eigen machte. Berühmt ist hierzulande jedoch weniger die Insel Luf, als das Luf-Boot, eines der spektakulärsten Ausstellungsstücke des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum.
Wie das Boot dorthin gelangte, ist nicht ganz klar. Angeblich hat es Max Thiel, Geschäftsführer von Hernsheim & Co, 1902 legal "erworben", Eduard Hernsheim selbst hat es dann für 6.000 Reichsmark ans Berliner Völkerkundemuseum verkauft.
Eine literarische Auseinandersetzung über den "Raub" des Luf-Bootes
An der Legalität dieser Transaktion hat zuletzt der Historiker Götz Aly massive Zweifel angemeldet und damit eine neuerliche Debatte über Beutekunst ausgelöst. In seinem Buch "Das Prachtschiff" zeichnet er die gewaltvolle deutsche Kolonialgeschichte im pazifischen Raum nach, ohne die der "Raub" des Bootes, der es für ihn war, nicht zu verstehen ist.
Eine literarische Auseinandersetzung damit hat nun Volker Braun vorgelegt. Seine Collage "Luf-Passion" wurde bereits im Frühjahr in der Zeitschrift "Sinn und Form" abgedruckt und in der Akademie der Künste in einer szenischen Lesung uraufgeführt, begleitet vom Percussionisten Günter "Baby" Sommer, dem Braun die jetzt vorliegende Buch Publikation gewidmet hat.
Man sollte sich den Text also getrommelt denken. Dazu passt, dass dieses Büchlein mit der englischen Übersetzung von Ann Cotton zweisprachig erscheint und, wenn man es umdreht, buchstäblich von vorne und hinten lesbar ist. Dazu gibt es eher simple Collagen von Thomas Walther mit Fotos von Insulaner hinter blutroten Flecken.
Ein Langgedicht, zusammengesetzt aus unterschiedlichsten Fundstücken
Was in der Akademie der Künste wie ein Dokumentarstück in der Nachfolge von Peter Weiss und Bertolt Brecht wirkte, wandelt sich in der Druckfassung in ein Langgedicht, das Braun aus den unterschiedlichsten Fundstücken zusammengesetzt und sprachlich rhythmisiert hat. Er greift dabei auf Briefe und Dokumente der Kolonialherren zurück, erfindet lyrische Stimmen für die Inselbewohner und montiert dazwischen Partikel aus Haydns "Schöpfung", einen Choral von Albrecht von Preußen, Passagen von Diderot und Pasolini und Lyrik von Johannes Bobrowski und von der Barockdichterin Sibylla Schwarz. So konträr die einzelnen Stimmen, wirkt das Ganze dennoch wie ein Text aus einer Hand. Braun hat die einzelnen Stimmen in ein dialektisches Spannungsfeld gesetzt.
Braun verfällt keiner schlichten Täter-Opfer-Dichotomie
Die deutschen Kolonialherren sprechen mehr oder weniger authentisch. Das gipfelt in dem Ausruf: "Wir sahen das Paradies – – / ein blühendes Eiland, und die Wilden, / die nicht in der Welt leben, gehen so weit / sich zu wehren! Das hat mich wild gemacht."
Die Insulaner sprechen dagegen von ihrer Seele und darüber, dass der weiße Mann keine Tabus und nichts Heiliges kennt. Ihre Reden sind fiktiv, weil es keine schriftlichen Quellen gibt, auf die Braun zurückgreifen könnte. Dieses Ungleichgewicht liegt in der Natur der Sache und ist mit den Mitteln der Lyrik nicht wirklich auszugleichen.
Der Gefahr, in eine allzu schlichte Täter-Opfer-Dichotomie zu verfallen, entgeht Braun mit einem Exkurs, der nach Afrika führt und zeigt, wie das Königreich Benin mit Geld, das aus dem Sklavenhandel stammte, Kupfer und Zink aus Preußen kaufte, um daraus seine Bronzen herzustellen, "Raubkunst aus einem Räuberstaat", schreibt Braun, "eine globale Schuld- / Verschreibung völkerverbindenden Unrechts."
Kleines Epos
Die Frage, ob das Luf-Boot rechtmäßig erworben wurde, wird zwar beantwortet. Das ist aber auch nicht Aufgabe der Lyrik. Die Lektüre dieses kleinen Epos weißt sie als naiv zurück. Das Unrecht wäre auch einer rechtmäßigen Transaktion eingeschrieben. Die Luf-Bewohner von heute sind übrigens dem Vernehmen nach gegen eine Rückgabe ihres Eigentums. Sie finden, dass das Boot in Berlin gut aufgehoben ist, weil es ihre Kunst und ihre Geschichte publik macht. Sie würden es aber gerne nachbauen und das Wissen, wie das geht, zurückerstattet bekommen.
Das ist wahrlich ein weiser, souveräner Standpunkt, der zu den letzten Zeilen des Poems passt, die von Ann Cotton stammen: "Wir / Müssen aufhören aufhören / Auf Nacken von andern zu knien / Die nicht atmen können."
Jörg Magenau, rbbKultur