"Erinnerungen mit großem A" - Friedrich Christian Delius: "Darling, it's Dilius!"
Am 3. Februar wäre der Schriftsteller und Büchnerpreisträger Friedrich Christian Delius 80 Jahre alt geworden, im Mai letzten Jahres ist er gestorben. Eine ganz besondere Autobiografie hat er kurz vor seinem Tod noch abschließen können: Das Buch "Darling, it's Dilius!" versammelt in etwa 300 Stichworten Erinnerungen - alle fangen mit A an. Von A wie Blutgruppe A, Rhesus-positiv, bis hin zu AZZURRO (in dem Eintrag beschreibt er den azurblauen Himmel über Rom) geht es um Begegnungen, Episoden, Gedanken, Momente seines Lebens, er kramt alte Gedichte hervor und erinnert sich an Weggefährten.
Im Vorwort, das er im Mai 2022 abschloss, ganz kurz vor seinem Tod, schreibt F. C. Delius über seine Skepsis gegenüber Autobiografien: Niemand könne sein Leben zu einem roten Faden zusammenfassen, Autobiografien würden Sinn, Plausibilität, Zielgewissheit vorgaukeln. Aber kein Leben verlaufe linear, schreibt Delius, Erinnerungen seien immer krumm. Deshalb hat er sich für seine Erinnerungen diese Form ausgedacht.
Ein spielerischer Ansatz, ein Selbstporträt aus Collagen, das bruchstückhaft bleiben soll. "Nur das A, A reicht doch!" schreibt er. A wie Armstrong, Aufräumen, Adorno, Atem, Alleinsein. "Dieses Buch", so Delius“, "hat also viel mehr Lücken als Seiten".
Begegnungen, An- und Einsichten und Privates
Thematisch ein wilder Ritt, eine Mischung aus beruflichen Begegnungen, philosophischen und politischen An- und Einsichten, Privates wie die Namensfindung bei der Geburt der ersten Tochter, dann die Mutter auf dem Sterbebett. Einblicke in seine Schreibwerkstatt: Unter dem Stichwort "ABER": "keine andere Konjunktion taucht so oft in meinen Rohtexten und Manuskripten auf und wird so oft gestrichen wie der Gegensatz und Widerspruchsausdruck."
Oft auch ein humorvoller Blick, nimmt sich wichtig, aber auch nicht zu sehr. Zum Beispiel wenn es um A wie ALBERT geht, von denen er aber gleich mehrere aufzählt: Albert Schweitzer ist dabei, Albert Camus, Albert Speer. Viele Begegnungen mit Menschen aus dem Literaturbetrieb tauchen auf, ob Thomas Brasch, Salman Rushdie, Günter Grass, Martin Walser, Anne Duden oder Klaus Wagenbach.
Rom und Berlin als wichtige Koordinaten
Natürlich schwingt bei der Lektüre das Wissen mit, dass er kurz nach Beendigung dieses Buches gestorben ist. Unter dem Stichwort "A wie ABFALLTONNE" erzählt er von seinen verschlissenen Hüten und dann vom Kauf eines Filzhutes der Marke Borsalino:
"Der neue Borsalino, 2003 zur Hochzeit in Rom gekauft, soll jetzt auf dem Kopf bis zur Zerschlissenheit das Gehirn ein wenig vor der Sonne schützen. Schiene viel Sonne aufs Grab, nähme ich ihn gern als Beigabe mit."
Rom – der Ort, an dem er 1943 geboren wurde, an dem er 2003 seine zweite Frau heiratete, Ursula Bongaerts, die viele Jahre die Casa di Goethe in Rom leitete, ist ein wichtiger Lebensort für ihn gewesen, aber auch Berlin, der Blick auf den Teufelsberg, das Leben im Berliner Westend, sind wichtige Koordinaten für sein Denken und Schreiben.
"Darling, it’s Dilius!"
Unter "A wie ABISH, CECILE UND WALTER" erklärt sich auch der Titel des Buches: Walter Abish, später Amerikaner, war ein in Wien geborener, jüdischer Schriftsteller, der nur wenige Tage vor Delius letztes Jahr verstarb. 1987 lernten sie sich kennen, als Abish Gast des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin war, und Walter und Cecile Abish forderten ihn auf, sich zu melden, wenn er mal in New York sein sollte. Das tat er 1992, und dann rief Cecile Abish, die das Telefon abnahm: "Darling, it’s Dilius!"
"Darling, it’s Dilius! Fast alle Amerikaner und Briten sprachen meinen Nachnamen so aus, aber so fröhlich und melodisch wie von Cecile hatte ich ihn noch nie gehört. Der Ausruf genügte, mich willkommen zu fühlen nicht nur bei den Abishs, auch in NY im April 1992.“
Walter Abish kommt auch stilistisch für diese Autobiografie eine besondere Bedeutung zu, denn für seine Erinnerungen mit großem A hat Delius sich nicht nur von George Perec mit seinem Formbewusstsein in "Das Leben. Gebrauchsanweisung" inspirieren lassen, sondern auch von Walter Abish und seinem Roman "Alphabetical Africa", ebenfalls in "alphabetischer Passordnung".
Vertrautes und Neues
Leserinnen und Leser, die F. C. Delius' Bücher kennen, treffen gleichermaßen auf Vertrautes wie Neues. Und für Neulinge ist "Darling, it’s Dilius!" ein Buch, das tausend Türen öffnet für das reiche Werk dieses Autors.
Anne-Dore Krohn, rbbKultur