Roman - Rakel Haslund-Gjerrild: "Adam im Paradies"
Die junge dänische Autorin Rakel Haslund-Gjerrild hat mit ihrem Debüt "Alle Himlens Fugle" 2020 in Skandinavien für Furore gesorgt, ein poetischer post-apokalyptischer Roman. Doch erst ihr zweites Buch "Adam im Paradies" ist ins Deutsche übersetzt worden, mit einer ganz anderen Thematik: Das Leben des vermutlich homosexuellen dänischen Jahrhundertwende-Malers Kristian Zahrtmann, der in Deutschland kaum bekannt ist, aber in Skandinavien große Bedeutung hat. Der Roman ist in Dänemark für den Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert worden.
"Die Soldaten riefen Hurra, die Sonne schien, die Stadt duftete nach Stadt und ein wenig nach altem Bier, und dann gingen sie zum Zechen ins Wirtshaus, während ich für einen Augenblick auf dem Bahnsteig stehen blieb und mich von der Sonne wärmen ließ, regungslos wie eine Libelle über dem rauschenden Strom der Reisenden mit ihren Koffern, Kisten und Seesäcken."
Wie eine Libelle schwirrt der Maler Kristian Zahrtmann auch durch diesen Roman, springt von einem Kapitel seines Lebens zum nächsten und wieder zurück, bleibt dort stehen und beobachtet sich selbst und die Menschen, die ihn begleitet haben. Er ist am Ende seines Lebens, als er das perfekte Modell für seinen Adam unter eine Truppe Soldaten in seinem Zugabteil entdeckt: "Das Sonnenlicht auf den Flimmerhärchen seiner Arme und ein trockener Atemzug der vorbeifahrenden Sommerwiesen und Felder ließen mich erschaudern wie vor Freude, vor Furcht: Da stand er, über uns gelehnt, und glich einem Adam."
Jeder Satz wie ein Pinselstrich
Zahrtmann war schon zu Lebzeiten in Dänemark ein erfolgreicher Künstler und Förderer, etabliert, wohlhabend, Gründer einer eigenen Schule, umgeben von Bewunderern und Kritikern gleichermaßen, dabei aber einsam und unsicher. Die vermutete Homosexualität hat er nie bestätigt, die Autorin Rakel Haslund-Gjerrild setzt sie für diesen Roman voraus, benennt sie aber nicht direkt, er hat Freundschaften zu Männern, vermutlich auch Beziehungen mit ihnen. Oft sehnt er sich nur nach unerreichbaren Unbekannten:
"Ein kurzes Schwanken der Gebäude, als er an meinem Fenster heraufblickt. Ja! Komm herein, sagt mein Fenster mit gläsernen Lachgrübchen, und ich erhebe meine Tasse und grüße durch die Scheibe hindurch."
Jeder Satz der Autorin Haslund-Gjerrild ist wie ein Pinselstrich des Malers Zahrtmann: überbordend an Farben, zugleich detailverliebt und symbol- und metaphernschwer. Dann wieder nüchtern und humorvoll.
Zwischen Sittlichkeitsprozessen und nordischer Kulturgeschichte
Zahrtmann schwankte in seinem Werk zwischen Historienmalerei und Expressionismus, lebte im Übergang von der Welt des 19. Jahrhunderts zur Moderne des 20. Rakel Haslund-Gjerrild, Jahrgang 1988, taucht vollkommen in diese Welt ein, erzählt konsequent aus der Sicht des im Alter immer eigensinnigeren Malers, in einer Sprache, als wäre sie seine Zeitgenossin.
Doch in all diese Sprachpracht bricht immer wieder die nüchterne Realität: In grau abgesetzten Seiten zitiert sie Protokolle der so genannten Sittlichkeitsprozesse gegen homosexuelle Männer, Texte verfolgter Künstler, hetzerische Zeitungsartikel und Gesetzesparagrafen, die Homosexualität mit Gefängnis und Zwangsarbeit ahnden.
Wie gefährlich Kristian Zahrtmann und seine Freunde lebten – allesamt reale Figuren der skandinavischen Kunst- und Literaturgeschichte – schimmert durch jede Zeile. Gemeinsam trauern sie um den Autor Hermann Bang, der an einer Rufmordkampagne gegen ihn zerbricht und leiden unter ihrer eigenen von der Gesellschaft auferlegten Einsamkeit.
Sprachlich beeindruckendes Mahnmal
Doch trotz aller Tragik ist der Roman von Humor getragen, mal kindisch, mal bitter, mal hoffnungsvoll und rebellisch: Trotz der Gefahr, tut er, was er liebt: "Kadmiumrot ist giftig, zu großer Verbrauch kann die Nerven schädigen. Nichtsdestominder ist das die Farbe, die sie haben sollen, seine Lippen. Morgen Kadmiumrot. Wenn er wiederkommt, werden sie das Erste sein, was ich male."
"Adam im Paradies" ist nicht nur ein sprachlich beeindruckendes Werk, und ein Mahnmal gegen die Unterdrückung queerer Menschen, - die Autorin Rakel Haslung-Gjerrild vermittelt auch ganz nebenbei ein facettenreiches Bild der nordeuropäischen Kunstwelt der Jahrhundertwende und weckt große Lust, diese neu zu entdecken.
Irène Bluche, rbbKultur