Michael Köhlmeier: Frankie © Hanser Verlag
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Roman - Michael Köhlmeier: "Frankie"

Bewertung:

Es gab Zeiten, da wurden Adoleszenz-Romane zuverlässig mit Salingers "Fänger im Roggen" verglichen. Naturgemäß schnitten sie bei diesem Vergleich eher schlecht ab. Das war so, bis 2010 Wolfgang Herrndorfs "Tschick" erschien. Seither werden Adoleszenzromane mit "Tschick" verglichen und schneiden dabei in der Regel eher schlecht ab. Wolf Haas hat mit "Junger Mann" 2018 einen weiteren respektablen Jugendroman vorgelegt, und nun versucht sich auch sein österreichischer Landsmann Michael Köhlmeier an diesem Genre.

Schon das Cover, das ein ramponiertes, im Gebüsch verborgenes Auto zeigt, erinnert an "Tschick", wo ein alter Lada eine tragende Rolle spielte. Der Aufbruch aus der Kindheit und hinaus in die Welt findet genregemäß auf der Straße statt. Dazu liefert der Klappentext die erwartbaren Stichworte: Initiation, Rebellion, Befreiung und mischt dazu eine Prise Dämonie und Faszination des Bösen.

Frank, 14 Jahre alt, früh auf sich gestellt

Der junge Mann und Ich-Erzähler heißt bei Köhlmeier Frank und ist knapp 14 Jahre alt. Er hasst es, "Frankie" genannt zu werden - oder noch schlimmer: "Frankie Boy". Die Mutter, "Garderoberin" in der Volksoper, ist abends häufig weg und hat außerdem einen neuen Freund. Der Vater hat nie eine Rolle gespielt. Frank ist also früh auf sich gestellt, auch wenn er das in festen Ritualen organisierte Zusammenleben mit seiner Mutter durchaus genießt.

Er ist für sein Alter vielleicht ein bisschen zu eloquent. Auch die Schreib- oder Erzählsituation erschließt sich nicht. Mal handelt es sich um Rückblenden kurz nach den Ereignissen, mal um Stenogramme in einem atemlosen Präsens. Also eine Art Tagebuch?

Hingezogen zum beunruhigenden Großvater

Aus seinen Gewohnheiten und seiner Einsamkeit wird Frank durch den Großvater herausgerissen, der zu Beginn des Romans aus dem Gefängnis entlassen wird. 18 Jahre hat er gesessen, insgesamt sogar 27 seiner 71 Lebensjahre hinter Gittern verbracht. Was er verbrochen hat, ist ein großes Familiengeheimnis, denn weder er selbst noch die Mutter geben Frank darüber Auskunft, so dass er sich mit einer halbgaren und darüber hinaus auch noch erfundenen Geschichte von einem Banküberfall und drei Toten abspeisen lassen muss.

Der Großvater ist erklärtermaßen ein "richtiges Arschloch" und gibt sich alle Mühe, das auch zu beweisen. Er neigt zu Gewaltattacken und rätselhaften Handlungen. Frank findet ihn ziemlich beunruhigend, und ist doch von ihm angezogen.

Das Warum - ein beschissener Scheißdreck ...

Wenn schon das "Was" im Dunkeln bleibt, umso mehr das "Warum". Eines nachts sitzt der Großvater plötzlich in Franks Zimmer und hält ihm eine Rede. Im Gefängnis ist er zu einem Philosophen geworden. Schließlich hat man dort viel Zeit, um nachzudenken. So kam er darauf, dass das Wort "Warum" wie er sich in diesem nächtlichen Monolog ausdrückt "in Wahrheit ein beschissener Scheißdreck" ist. Man tut, was man tut, nicht aus einem bestimmten Grund, sondern man tut es einfach. Alle Gründe sind nachgereicht, sind Beruhigungspillen für die Psychologen, die Eltern, die Richter, die Hinterbliebenen. Gründe sind postume Erfindungen. Was aber, wenn ein Mörder einfach nur deshalb mordet, weil er ein Mörder ist?

Lehrbeispiel zur Frage der Verantwortlichkeit

Die Geschichte, die sich daran anschließt, liest sich wie ein Lehrbeispiel zur Frage der Verantwortlichkeit, über die Frank nachzudenken beginnt. Ist es etwa verantwortlich, wenn der Großvater seinem Enkel eine geladene Pistole schenkt, und sei sie auch noch so klein und zierlich? Ist es etwa verantwortlich, den Enkel mitzunehmen auf eine Diebestour und im geklauten Auto einfach so in der Gegend herumzufahren? Oder ist er entschuldigt, wenn die Ereignisse dazu führen, dass der junge Mann am Ende tatsächlich alles hinter sich lässt und aufbricht in eine unbestimmte Zukunft, hinaus ins Leben?

Altersgemäße Ahnungslosigkeit

Die Geschichte ist flott und mitreißend erzählt, jedenfalls bis etwa zur Mitte des Romans, wo es auf einem Autobahnrastplatz zum großen Showdown kommt. Eigentlich könnte der Roman hier schon enden, dümpelt dann aber noch eine Weile vor sich hin.

Köhlmeier hat ein gutes Gespür für die Gefühlslagen seines Helden, der einem rasch ans Herz wächst. Auch Frank weiß nicht, warum er tut, was er tut und warum er dem Großvater folgt. Seine Ahnungslosigkeit ist jedoch altersgemäß. Zum Genre des jugendlichen Aufbruchsromans gehört die Mischung aus Unerschrockenheit und Ängstlichkeit, aus Tatkraft und Mitläufertum, aus Weisheit und Naivität. Da steht Frank in einer Reihe mit Wolf Haas‘ jungem Mann und mit Herrndorfs Maik Klingenberg aus "Tschick".

Jörg Magenau, rbbKultur

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