Marc Sinan: Gleissendes Licht © Rowohlt
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Roman - Marc Sinan: "Gleißendes Licht"

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Marc Sinan ist einer der originellsten Musiker unserer Tage: Komponist und Gitarrist, daneben auch Prozent und Künstlerischer Leiter einer eigenen Company. In seinen musiktheatralischen Arbeiten spielen oft Themen wie Täter und Opfer oder auch der Völkermord eine zentrale Rolle. Jetzt hat Marc Sinan sein Romandebüt vorgelegt.

"Gleißendes Licht" ist stark autobiografisch geprägt. Die Hauptfigur wächst als Sohn eines deutschen Vaters und einer türkisch-armenischen Mutter in München auf und verlebt zunächst eine halbwegs normale Kindheit und Jugend. Das erste Drittel liest sich auch wie eine der vielen Coming of Age-Geschichten. Dann aber taucht er immer mehr in die Geschichte seiner Familie mütterlicherseits ein und findet heraus, dass die Familie seiner Großmutter zu den Opfern des Genozids der Türkei an den Armeniern gehörte, während sein Großvater wenigstens mittelbar von den Ereignissen wirtschaftlich profitiert hat.

Persönlicher Zwiespalt

Der Protagonist verstrickt sich mehr und mehr in die vielen Zusammenhänge, nimmt es immer mehr als Teil des eigenen Lebens an und versucht damit klarzukommen, gewissermaßen Enkel sowohl von Tätern als auch von Opfern zu sein. Dieser Zwiespalt zerreißt ihn, seine Beziehung geht zu Bruch, und er fühlt sich geradezu aufgefressen von der Frage, wie die Schuld, die "ewige Verbindung von Tätern und Opfern zu lösen ist".

Zentrales Gestaltungsmittel ist das nichtchronologische Erzählen. Es springt kapitelweise hin und her von der Zeit seiner Jugend über die Jahre des Völkermords, Szenen aus dem Leben seiner Großeltern und vieles andere mehr, was sich weit über ein Jahrhundert erstreckt. Einige der späten Kapitel spielen sogar in der Zukunft, das letzte im November 2023.

Wie die Partitur einer Sinfonie

Manches liest sich fast schon biografisch sachlich, anderes, besonders Dialoge in wörtlicher oder gedachter Rede, steigert sich in Tiraden, wütend, oft ungerecht und unsachlich, von sprachlicher Wucht. Dabei greifen Wirklichkeit und Phantasie ineinander – Erlebtes und Erzähltes, sogar Mythologisches, teilweise von unvorstellbarer Grausamkeit und Brutalität.

Zunächst empfindet man es als Zumutung, immer nach wenigen Seiten woanders hinkatapultiert zu werden, aber je mehr man liest, desto logischer erscheint es. Es ist wie die Partitur einer großen Sinfonie, wo sich bei all den Themen, Variationen und Entwicklungen erst am Ende alles vollständig erschließt und wirklich erst auf der letzten Seite alle Motive zu Ende geführt erscheinen.

Eines der bemerkenswertesten literarischen Debüts der letzten Zeit.

Andreas Göbel, rbbKultur

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