Jessie Greengrass: Und dann verschwand die Zeit © Kiepenheuer & Witsch
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Roman - Jessie Greengrass: "Und dann verschwand die Zeit"

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Der Klimawandel verändert schon jetzt unser aller Leben. Die britische Schriftstellerin Jessie Greengrass entwirft in ihrem Roman "Und dann verschwand die Zeit" ein Szenario in einer nicht allzu fernen Zukunft: Dürren und Hochwasser sind an der Tagesordnung - bis eines Tages eine große Flut alles vernichtet. In High House, einer Anhöhe an der Küste Großbritanniens, überleben drei Menschen, weil eine Klimaforscherin für sie vorgesorgt hat. Sehr konkret erzählt Greengrass davon, welches Drama der Klimawandel auf persönlicher Ebene bedeuten kann.

Jessie Greengrass erzählt diese Geschichte aus der Perspektive von Caro, Sally und Pauly, einem kleinen Jungen, um den die beiden jungen Frauen sich kümmern. Paulys Mutter ist Klimaforscherin, reist durch die Welt gibt viele Fernsehinterviews, kämpft gegen den Klimawandel. Sie weiß: Das Ende kommt sicher - und mein Sohn wird es erleben.

Vorkehrungen

Sie trifft Vorkehrungen, um ihr Kind zu retten und geht dabei pragmatisch vor: Sie baut das Ferienhaus der Familie, gelegen auf einer Anhöhe, zu einer Art Festung aus, in der sich die Kinder selbst versorgen können und später auch müssen. Sie schafft Vorräte an, Saatgut, Hühner, es gibt einen Gezeitentümpel, mit dem Strom erzeugt wird, ein Lager mit Kleidung und Werkzeugen, die wichtig sind, um zu überleben. Auch für das nötige Know How sorgt sie, indem sie Sally dazu bringt, in das Haus einzuziehen. Die junge Frau hat von ihrem Großvater gelernt, wie man säht, erntet und repariert.

Eine Zeit, die der heutigen sehr ähnlich ist

In Rückblenden erzählt Jessy Greengrass die Geschichten dieser drei Privilegierten, deren Überleben gesichert scheint. Die Zeit, in der sie aufwachsen, ist der heutigen sehr ähnlich: Extreme Trockenheit und extreme Niederschläge wechseln sich ab. Überall auf der Welt sind Menschen auf der Flucht vor den klimatischen Bedingungen. Bienen sterben, der Boden erodiert, Trinkwasser ist knapp. Greengrass holt ihre Leser:innen ab in dem Gefühl, das alles hilflos mit anzusehen und dabei den Anschein der Normalität zu wahren. Das ist schmerzhaft, aufwühlend, unbequem.

Und auch moralische Themen spielen eine Rolle. Jesse Greengrass ist Jahrgang 1982 und hat in Cambridge und London Philosophie studiert. Schon in ihrem letzten Buch "Was wir voneinander wissen" hat sie einen philosophischen Blick auf private Fragen geworfen. Ging es ihr in diesem eher mäandernden Essay um die Frage der Elternschaft, entwirft sie hier einen Plot von existenzieller Wucht. Sie stellt Fragen nach sozialer Verantwortung, dem Recht des Stärkeren bzw. Privilegierteren und nicht zuletzt der Elternschaft angesichts des Klimawandels und seiner absehbar dramatischen Folgen.

Dieser Roman ist ein Zumutung, zu der man Mut braucht - und belohnt wird

Die Handlung kulminiert in der Sintflut, die alles vernichtet. Dicht und voll umwerfender Bilder und existenzieller Naturwahrnehmung, die an Karen Duves "Regenroman" oder Marlen Haushofers "Die Wand" erinnern, schildert sie die Katastrophe und ihre Folgen. Vor der Flut ist alles Erinnerung, danach gibt es nur noch die Gegenwart: Die Mühsal, Nahrung zu produzieren, bestimmt alles.

Was bleibt, ist ein Kammerspiel mit drei Menschen: Caro, Sally und Pauly. Dieser Roman ist ein Zumutung, zu der man Mut braucht - und belohnt wird.

Julia Riedhammer, rbbKultur

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