Lukas Bärfuss: Die Krume Brot © Rowohlt
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Roman - Lukas Bärfuss: "Die Krume Brot"

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Wieviel Unglück erträgt ein Mensch? Und wieviel Unglück erträgt ein Leser? Bei Lukas Bärfuss muss man sich darauf einstellen, dass das Verhängnis unausweichlich ist. In seinem neuen Roman "Die Krume Brot" folgt auf jedes Unglück ein noch größeres Unglück, weil es der Autor so will.

Was soll die arme Adelina auch tun, wenn es gleich im ersten Satz heißt, ihr Unglück habe schon 45 Jahre vor ihrer Geburt begonnen? Damit ist ihr Schicksal besiegelt. Der Rest des Romans dient nur noch der Demonstration des erzählerischen Urteilsspruchs oder vielmehr der Exekution einer Figur, die von Anfang an keine Chance haben darf.

Bärfuss, Büchnerpreisträger von 2019, dekliniert die Ausweglosigkeit in einem chronikhaft nüchternen, mitleidlos unterkühlten Stil durch. Er beginnt mit dem in Triest geborenen Großvater, der sich zur Zeit des Ersten Weltkriegs den italienischen Nationalisten anschließt, später Mussolini verehrt und seinen geliebten Sohn verrät und verstößt, weil er fürchtet, da könnte mütterlicherseits slawisches Blut im Spiel sein. So überträgt sich das politische Verhängnis als genetischer, rassistischer Verdacht auf die nächste Generation. Aus dem Sohn, Adelinas Vater, wird ein fetter Nichtsnutz, der über den väterlichen Liebesentzug nie hinwegkommt. Doch reicht das schon aus, um das Lebensunglück der Tochter zu begründen?

Unglück auf mehreren Ebenen

Abstammung und Erbschaft ist das eine. Bärfuss hat sich damit zuletzt mehrfach auseinandergesetzt. In "Vaters Kiste" schrieb er darüber, das väterliche Erbe, das vor allem aus Schulden bestand, ausgeschlagen zu haben. Auch seine Romanfigur Adelina erbt nun nichts als Schulden, an denen die zu zerbrechen droht. Sie ist Analphabetin, da es ihr nicht gelang, in der Schule Lesen und Schreiben zu lernen, und schon deshalb nicht mehr als Hilfsarbeiterin in der Fabrik.

Ihr eigentliches Unglück besteht aber darin, dass sie immer wieder die erstbesten falschen Männer wählt, wie den italienischen Straßenbauarbeiter Toto, der sie schwängert und dann sitzen lässt. Emil, der zunächst als guter Geist in ihr Leben tritt, ihre Schulden bezahlt und sie mit der kleinen Emma bei sich aufnimmt, erweist sich dann jedoch als noch viel größeres Unglück, weil er, als er Adelina verlässt, die kleine Tochter entführt. Adelina gerät – wir sind im Jahr 1973 – in dubiose Abhängigkeit italienischer Terroristen der "Roten Brigaden", die ihr versprechen, das Kind wiederzufinden, wenn sie einen Kurierdienst übernimmt. Dass die Sache nicht gut ausgeht, versteht sich.

Grobe Beweisführung

Das alles – vom Mussolini-Großvater bis zum Linksterrorismus der 70er – klingt ziemlich konstruiert und ist es auch, da der ganze Roman nichts ist als eine Beweisführung. Allerdings wird nicht klar, was er eigentlich beweisen will. Liegt der Grund von Adelinas Unglücks in der selbstverschuldeten Unmündigkeit? Im Erbe all dessen, was in der Familie lange vor ihrer Zeit falsch gelaufen ist? In den politischen oder den sozialen Verhältnissen? Dass Bärfuss letzteres präferiert, geht schon aus der großen Rede hervor, die der Terrorist Renato hält, um Adelina die Abhängigkeitsverhältnisse im Kapitalismus zu erklären. Allerdings ist auch er ein Verführer, der Adelina in eine weitere, von ihr nicht durchschaute Abhängigkeit bringt. So scheint es, dass Adelinas Schicksal durch ihre eigene Ahnungslosigkeit ebenso besiegelt wird wie durch falsche Männer. Eben weil sie nichts versteht und die Verhältnisse nicht durchschaut, wird sie zum Spielball der ökonomischen, sozialen, psychischen und genetischen Prägungen.

"Die Krume Brot" krankt daran, dass der Autor sich für seine Figuren nicht wirklich interessiert. Sie sind für ihn nur Demonstrationsobjekte und wirken deshalb leblos und – allem Unglück zum Trotz – ziemlich fad. Deshalb spielt es für ihn auch keine Rolle, dass die Chronologie nicht stimmt. Wenn man die Ereignisse durchrechnet, wäre Adelina 1973 gerade mal in der Pubertät, hat aber schon zwei Beziehungen hinter sich und ein Kind, das auch schon sechs Jahre alt ist. Bärfuss Beweisführung ist eher grob und ein wenig lieblos zusammengezimmert, mal davon abgesehen, dass sie ins Leere führt. Unglück gibt es, soviel steht fest. Die Gründe dafür sind aber vielfältiger, als es die Anlage des Romans nahelegen möchte.

Jörg Magenau, rbbKultur

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