Julya Rabinowich: Der Geruch von Ruß und Rosen © Hanser Verlag
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Jugendroman - Julya Rabinowich: "Der Geruch von Ruß und Rosen"

Bewertung:

Krieg und Flucht vor dem Krieg sind Themen, die uns nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine beschäftigen. Tagtäglich fliehen Menschen vor Gewalt, Krieg oder Hunger aus ihrer Heimat, darunter viele Kinder und Jugendliche. Stellvertretend für sie steht Madina. Sie ist die Protagonistin in Julya Rabinowichs neuem Jugendroman "Der Geruch von Ruß und Rosen". Er ist der dritte Teil einer Reihe, die von der Flucht ihrer Familie erzählt und vom Ankommen in einem neuen Land mit einer fremden Kultur.

Wer "Dazwischen: Ich" und "Dazwischen: Wir", die beiden ersten Bände von Julya Rabinowichs Trilogie, noch nicht gelesen hat, sollte das unbedingt nachholen. Nicht, weil man ihr neues Buch sonst nicht versteht, sondern weil einem ein großes Leseerlebnis entgeht. Die Handlung versteht man aber auch, wenn man erst mit diesem Buch in Madinas Geschichte einsteigt. Julya Rabinowich baut sehr geschickt immer wieder Informationen aus den vorherigen Büchern in dieses ein.

Die vorangegangenen Bücher erzählen vom Ankommen in einem neuen Land

Man erfährt von der Flucht und dem Ankommen im neuen Land, in dem die Familie zuerst auf engstem Raum in einem Flüchtlingsheim lebt. Wie schwer sich Madinas Vater damit getan hat, die fremde Kultur zu akzeptieren und die viel größere Freiheit, die Mädchen und Frauen dort haben. Dass Männer nicht das alleinige Sagen haben wie bei ihnen zu Hause, hat zu großen Konflikten zwischen ihm und seiner Tochter geführt. Und als er aus Sorge um die Großmutter zurückgeht und seitdem verschollen ist, ist das für seine Familie zwar auf der einen Seite traumatisch, aber gibt Madina auch die Möglichkeit, freier und selbstbestimmter zu leben. So wie ihre beste Freundin Laura. Gleichzeitig muss sie, die inzwischen aufs Gymnasium geht und gut Deutsch spricht, alles für ihre Familie regeln und trägt viel zu viel Verantwortung für ihr Alter.

Rückkehr in das zerstörte Land

In diesem Band geht es um die Rückkehr in das vom Krieg zerstörte Land. Es ist Sommer und Madinas letztes Schuljahr vor dem Abitur bricht bald an. Sie ist zum ersten Mal alleine mit Laura in Europa unterwegs, als sie vom Ende des Krieges in ihrer Heimat erfährt. Madina hofft, jetzt endlich zu erfahren, was mit ihrem Vater passiert ist, aber ihre Familie wartet vergeblich auf eine Nachricht von ihm. Und so beschließen Madina und ihre Tante, in ihr Heimatland zu fahren und nach ihm zu suchen.

Als Tagebuch angelegt

Das Buch ist wie die beiden Vorgänger als Tagebuch angelegt und so ist man als Leserin ganz nah an Madina dran und sieht mit ihren Augen, was der Krieg in ihrem Heimatland angerichtet hat: zerstörte Häuser und Straßen, bettelnde Menschen, die in Zelten auf der Straße schlafen. Sie begegnet Misstrauen und Feindseligkeit, während zwischendurch immer wieder Erinnerungen an die Zeit vor dem Krieg aufblitzen, an den roten Sand, aus dem die Straßen bestehen, oder an den Obstgarten ihrer Großmutter, in dem sie als Kind gespielt hat.

Figur des Vaters zeigt die Abgründe, in die ein Krieg die Menschen stürzt

Als sie ihren Vater schließlich findet, ist er ein gebrochener Mann. An seiner Figur wird deutlich, in welche Abgründe ein Krieg die Menschen stürzt, welche Wunden er im Körper und in der Seele von Überlebenden hinterlässt.

Julya Rabinowich hat als Übersetzerin mit vielen Männern gesprochen, die Krieg und Folter überlebt haben. Sie weiß also, wovon sie schreibt. Aus diesen Gesprächen ist die Idee für das Buch entstanden. Sie zeigt, wie schwer es ist, Kriegserlebnisse zu verarbeiten, und wie lange es dauert, bis Traumata heilen, wenn sie es überhaupt tun. Dadurch, dass sie aus Madinas Perspektive schreibt, erfährt man als Leserin nicht in allen Details, was der Vater erlebt hat, sondern viel mehr, wie belastend seine Erlebnisse und seine Traumatisierung für seine Familie ist.

Hoch aktuell und tief bewegend

Julya Rabinowich erzählt keine Wohlfühlgeschichte, aber sie mutet ihren jungen Leserinnen und Lesern mit diesem hochaktuellen Buch auch nicht zu viel zu. In den letzten beiden Jahren mussten so viele Menschen aus der Ukraine zu uns flüchten. Viele Kinder und Jugendliche haben Mitschüler aus der Ukraine oder aus anderen Kriegsgebieten in ihren Schulen oder Sportvereinen. Julya Rabinowichs Bücher helfen dabei, sich in die Situation dieser Kinder und Jugendlichen hineinzuversetzen. Mit Madina hat sie eine starke Figur geschaffen, die zeigt, dass man Traumata überwinden kann. Vor allem, wenn man so wie Madina Unterstützung hat von Freunden, Lehrern oder Therapeuten, die ihr dabei helfen, nicht an dem zu zerbrechen, was sie erlebt hat, sondern den Schmerz zu überwinden und zu sich selbst zu finden.

Mich hat dieses einfühlsam geschriebene Buch - genau wie die ersten beiden Teile - tief bewegt und lange nicht losgelassen. Unbedingt lesen!

Sarah Hartl, rbbKultur