Genuss, Gier und Globalisierung - Thomas Reinertsen Berg: "Die Geschichte der Gewürze"
Zimt, Kardamom, Muskat, Nelken, Ingwer: Ohne diese Aromen wäre die Adventszeit kaum denkbar. Gewürze sind heute was Alltägliches: Es ist daher schwer, sich vorzustellen, dass dafür früher Eroberungskriege geführt wurden. Ihre Verwendung ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst, und ihre Geschichte ist eng mit der Entwicklung des Welthandels und des Kolonialismus verbunden. Den Weg dieser kostbaren Ware von der Steinzeit bis zu unserer Küche schildert ein spannendes Buch, das jetzt in der deutschen Übersetzung erschienen ist: "Die Geschichte der Gewürze: Genuss, Gier und Globalisierung".
Ob als Grundlage für religiöse Rituale und Totenkult, als medizinisches oder aphrodisisches Mittel oder einfach als Zeichen für Macht und Wohlstand – Gewürze waren schon in der frühen Antike so wichtig, dass keine Anstrengung unterlassen wurde, um neue Wege für Handel und Tausch zu erschließen. Sie waren Heilmittel gegen vielerlei körperliche Leiden, konnten sogar die Kraft verleihen, über das Wasser zu laufen und den Toten die Fähigkeit, wieder mal zu neuen Leben zu erwecken. Der Duft der Gewürze galt als ein Zeichen Gottes: Gewürze zu verbrennen vertrieb Krankheiten und teuflische Gedanken, womöglich überspielte er einfach nur in angenehmer Weise unangenehme Gerüche.
Gewürze als Währung
Das Buch des norwegischen Journalisten und Autors Thomas Reinertsen Berg zeigt in unterhaltsamer und detailreicher Art, wie die Notwendigkeit, an Gewürze zu gelangen, sowohl bei militärischen Kampagnen als auch bei Explorationsreisen eine große Rolle mitgespielt hat. Während die Zeit zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert den meisten von uns eher vertraut ist, - mit der Dominanz der Republik Venedig im gesamten östlichen Mittelmeer, den Abenteuern von Marco Polo entlang der Seidenstraße, den Kreuzzügen im Heiligen Land und, Jahrhunderte später, dem europäischen Kolonialismus in Amerika, Afrika und Asien, ist die lange Phase vor unserer Zeitrechnung weitaus weniger bekannt. Spannend an diesem Buch ist gerade, dass es auch diese Zeit und eine Region fokussiert, die weit weg von unserem eurozentrischen Gesichtspunkt liegt.
Die Erzählung startet in Südostasien, als Küsten- und Inselbewohner die Seefahrt so weit perfektionieren, dass sie bereits in 2. Millennium v.Ch. regelmäßige Handelswege etablieren können, vor allem für Gewürze wie Muskat. Dieser wuchs damals nur auf einigen Inseln östlich des heutigen Indonesien (Banda und Molukken) und wurde für die dortige Bevölkerung zu einer Art Währung.
Per Schiff oder Dromedar
Berg vermerkt immer wieder, dass die historischen Quellen in dieser Zeit – ob archäologische Funde oder, viel öfter, schriftlicher Zeugnisse – weit weg davon sind, alle Lücken zu schließen. Dennoch erstaunlich ist die Tatsache, dass Gewürze – so wie auch Münzen, die als Zahlungsmittel verwendet wurden – schon damals an Orten gelangten, die weit weg von den Ursprungsregionen liegen. Emsig beschäftigten sich im Laufe der Jahrtausende viele Menschen, vom Mittelosten bis Indonesien, um begehrte Ware wie Gewürze Tausende von Kilometern zu transportieren, obwohl See- und erst recht Landwege alles andere als sicher waren und erschlossene Handelswege oft infolge von Kriegen und politischer Unsicherheit oft nicht mehr begehbar waren.
Die Kenntnis der Monsunwinde in der Schifffahrt und die Domestizierung von Dromedaren und Kamelen für den Transport auf dem Landweg brachten wiederum neue große Fortschritte. Binnen drei Jahrtausenden entspannte sich ein Netz an Handelswegen und -knoten, das von Südostasien aus China über das indische Subkontinent und den Mittleren Osten bis zum Horn Afrikas, Ägypten und dem östlichen Mittelmeer umfasste.
Muskat und Nelken aus Indonesien, Ingwer aus dem Süden Chinas, Pfeffer und Kardamom aus Indien und Sri Lanka konnten so schon damals die entferntesten Länder erreichen. Sicher konnte die damalige Geschwindigkeit der damaligen Transportmittel nicht mit den heutigen mithalten, aber der Autor zeigt, wie alle Merkmale globalisierten Handels schon damals vorhanden waren, lange bevor Kolonialmächte wie Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande ihren Reichtum auf der systematischen Ausbeutung und weltweiten Kommerzialisierung aufbauten.
Gewürze als Zankapfel
Bemerkenswert ist die ambivalente Rolle, die exotische Handelsware – Gewürze in primis – in den Beziehungen zwischen Völkern und Mächten spielen. Während auf der einen Seite Kriege erklärt werden, um profitable Handelswege zu kontrollieren, wie bei den verschiedenen Kreuzzügen, bringt auf der anderen Seite das gegenseitige Interesse am Handel Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen oft dazu, sich friedlich zu begegnen und in einer Vielzahl an Sprachen Vereinbarungen treffen, die lange Zeit wahren. Politische Konflikte halten Händler und vor ihnen Exploratoren nicht davon ab, immer wieder nach neuen Wegen und Allianzen zu suchen, um Gewürze mit anderer exotischer Ware wie z.B. Edelsteine und Seide vom Osten nach Westen zu bringen. Kurioserweise ist Safran das einzige Gewürz, das viel später, im Mittelalter, den umgekehrten Weg geht: von Europa Richtung Orient.
Thomas Reinertsen Berg macht diese Entwicklungen mit einer Fülle an Details und Anekdoten fassbar. Dass er zum großen Teil die alten Namen von Städten und Regionen verwendet, macht es notwendig, immer wieder die Lektüre zu unterbrechen, um sich Orte und räumliche Dimensionen auf entsprechenden Karten im Web zu vergegenwärtigen. Der Autor selbst hat sich intensiv mit historischen Weltkarten beschäftigt - u.a. in einem Buch, das vor drei Jahren erschienen ist. Gerade dadurch ist er auf die Relevanz der Gewürze in der frühen Entstehung von Handelswegen aufmerksam geworden.
Das Buch zieren viele schöne Illustrationen zum Thema Gewürze aus verschiedenen Epochen. Historische Karten wären aber meiner Meinung nach viel wichtiger gewesen, um sich beim Lesen eine Vorstellung davon zu machen, wie Handelswege im Laufe der Geschichte Kontinente umspannt oder getrennt haben, infolge oder sogar als Ursache politischer Konflikte.
Trotzdem wirft "Die Geschichte der Gewürze" einen spannenden, fachkundigen Blick auf Entwicklungen, die zwar lange her ihren Lauf genommen haben, aber deren Folge sich bis in die heutige Zeit auswirken.
Elisabetta Gaddoni, rbbKultur