Comic des Monats - Lara Swiontek: "Verwandlung"
Als Mary Shelly, die Autorin des berühmten "Frankenstein"-Romans vor gut 200 Jahren die Novelle "Verwandlung" schrieb, hat sie damit eine romantische Schauergeschichte über die zerstörerische Kraft von ungezügelten Emotionen geschrieben. Die Lübecker Comic-Künstlerin Lara Swiontek hat daraus eine zeitgenössische Graphic Novel gezeichnet – Comic des Monats bei rbbKultur.
Guido Carega ist der Ich-Erzähler dieser Geschichte und er kündigt schon im Prolog an, dass ihm schreckliches wiederfahren sei. Bereits auf den ersten Seiten meint man, dass ihm das recht geschieht! Weil er ein arroganter reicher Schnösel ist, dem die Gefühle seiner Mitmenschen egal sind. Der sein Erbe mit Reisen durch Europa und wilden Partys verprasst. Und der trotzdem das Herz von Juliet erobert - ein Mädchen aus ebenso reichem Haus, mit dem er aufgewachsen ist. Für Juliet hegt er starke Gefühle, allerdings ist zu bezweifeln, ob es wirklich Liebe ist, weil Juliet erst dann wieder für Guido interessant wird, als er pleite ist und er sie wegen ihres Reichtums heiraten will.

Hipster mit Nackenmatte
Guido Carega stammt aus Genua. Lara Swiontek zeichnet die Kulisse als klassische italienische Landschaft mit Zypressen und römischer Architektur. Das lässt diese Graphic Novel zugleich zeitlos und aktuell wirken, denn Guido porträtiert sie als Hipster mit Nackenmatte, knackigen Hosen und Rollkoffer – ein sehr interessanter Kontrast.
Lara Swiontek erzählt die Novelle immer wieder mit Wimmelbildern weiter, etwa wie sich der Held durch die Partys schlägt oder wie er seinen Umzug zurück nach Genua organisiert. So wird deutlich, dass die Geschichte doch nicht so klar und übersichtlich ist, wie es am Anfang scheint. Denn: Es gibt einen Vertrag, dass das Geld der Familien gerecht zwischen Juliet und Guido geteilt wird. Und da Guido seinen Teil schon verprasst hat, soll er nach der Hochzeit keine Handhabe über ihr Vermögen bekommen. Das versetzt ihn so in Rage, dass er im wahrsten Sinne des Wortes alles zerschlägt und ans Meer flieht.

Die Verwandlung
Zur titelgebenden Verwandlung kommt es, weil Guido am Meer einen hässlichen Zwerg trifft, der da nach einem furchtbaren Sturm gestrandet ist. Der macht sich lustig über Guido, weil der lieber zerrissen am Strand hockt, anstatt sich bei Juliets Vater zu entschuldigen, Juliet zu heiraten und dann ein wohlhabendes Lebens zu führen. Und weil Guido immer noch viel zu wütend ist, um die Argumente abzuwägen, schlägt ihm der Zwerg einen Tausch vor: Guido bekommt Essen und einen Goldschatz, wenn der Zwerg sich für drei Tage den Körper von Guido ausleihen darf.
Guido willigt ein, weil er glaubt, dass sein größtes Problem darin besteht, dass er nicht mehr über ein Vermögen verfügen kann. Er wartet drei Tage lang im hässlichen Körper des Zwerges am Strand. Als der einfach nicht zurückkommt, ahnt Guido, dass er einen Fehler gemacht hat.
Eigener Zugang
Mary Shelley entwirft immer wieder Seelenlandschaften: Dieser Sturm am Meer ist typisch für Shelley und steht als Metapher für Guidos Wut. Lara Swiontek zeichnet das so tosend und alles durcheinander wirbelnd, dass man geradezu fühlt, wie haltlos Guido ist. Das steht im Kontrast zu der wohlgesetzten klassischen Landschaft, in der Guido dank seiner Geburt Halt gefunden hatte.
In Mary Shelleys Literatur schwingt mehr mit, als die reine Narration nahelegt. Shelley hat das durch ihre dichte Sprache geschafft. Lara Swiontek macht das mit ihren ausdrucksstarken Zeichnungen und dadurch, dass man Guido auf sämtliche Partys und bis in seine tiefsten Abgründe folgen kann – obwohl er so irrational handelt. Sie schafft durch ihre Zeichnungen einen ganz eigenen Zugang zu dem Stoff.
Andrea Heinze, rbbKultur