
Empfehlungen der unabhängigen Jury - Sachbücher des Monats März 2022
Wir präsentieren unsere zehn Sachbücher des Monats, ausgewählt von 24 namhaften Jurorinnen und Juroren. Im März auf unserer Liste ein "geopolitischer Thriller" der Journalistin Catherine Belton über "Putins Netz" und den Einfluss des KGB in Russland. Natan Sznaider erörtert in unserem Platz 1-Buch das Verhältnis des Holocaust zu den Verbrechen des Kolonialismus.
In gewisser Weise ist unsere monatliche Sachbuchliste ein Spiegelbild der Diskurse unserer Zeit; so auch die Nummer 1 des Monats, eine Art Klarstellung der aktuellen Debatte um die Frage, ob der Holocaust ein einmaliges Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands war oder ein kolonialistisches Verbrechen neben anderen, verbunden etwa mit der Frage, ob jüdische Opfer in der Erinnerung gegenüber den afrikanischen Opfern bevorzugt werden.
Nathan Sznaider geht dieser Frage akribisch und erhellend nach und kommt zu dem Schluss, dass jüdische Erfahrungen eine andere Geschichte erzählen als kolonialistische, weshalb es ihm nicht um Kolonialismus oder Holocaust geht, sondern um beides. Keine Opfergruppe darf gegen die andere ausgespielt werden, so schwer es auch fallen mag.
Die beste aller möglichen Welten
In Zeiten angespannter politischer Realitäten sucht man womöglich nach Zeiten, in denen sich bessere und friedlichere Perspektiven bieten oder geboten haben. So vielleicht die noch immer in ideales Licht gehobene Aufklärung – die ja auch Zeit der Erleuchtung -„enlightenment“ im englischen Sprachgebrauch- genannt wird. Und damit sieht man auch auf Gottfried Wilhelm Leibnitz, der eben Die beste aller möglichen Welten gesucht und ihre Möglichkeiten beschrieben hat.
Leibnitz' Devise: Niemals aufgeben
Der Leiter der Leibnitz-Forschungsstelle in Hannover, Michael Kempe, hat anhand biographischer Daten das Lebensbild dieses Universalgenies, das fortwährend schrieb, tüftelte und reiste, nachgezeichnet. Leibnitz, der Erfinder des Integralzeichens und der Rechenmaschine, der Einführung der 0 in die Mathematik, hat uns außer mathematischen Berechnungen und metaphysischen Originalideen freilich auch gelehrt, über die Grenzen des eigenen Wissens hinauszusehen: in andere Weltbilder, in andere Kulturen, z.B. nach China.
Von China lernt er die binäre Rechenmethode, die später die Grundlage der Computertechnologie geworden ist. Die beste aller Welten hat Leibnitz freilich nicht gefunden, aber immerhin diese Devise: "Niemals aufgeben, immer weitermachen, im Negativen auch das Positive sehen: Das ist bei ihm nicht nur eine Lebens-Devise gewesen, er hat diese Einstellung zugleich zu einem Erklärungsprinzip mit Weltmaßstab erhoben und damit ein Weltbild verwandelt" (S. 286).
Wie sich der KGB Russland zurückholte
Für das letzte Buch auf unserer Liste trifft nun wie selten das Motto "Last, but not least“ zu: Putins Netz beschreibt nämlich in aller brutalen Ausführlichkeit Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste – ein "geopolitischer Thriller“, wie der Kritiker der Times schreibt, der aber wohl leider keine Fiktion ist. Die Journalistin Catherine Belton hat in jahrelangen Recherchen, Interviews und Lektüren die Un-Tiefen dieses Netzwerkes, das sich um Putin ausgebildet hat, ausgelotet. Es zeigt sich eine Wahrheit, die viele nicht glauben wollten – und die sich womöglich als Überfall auf die Ukraine zeigt.
Andreas Wang, Herausgeber der "Sachbücher des Monats" seit 1992