Danae Dörken: Odyssee © Berlin Classics
Berlin Classics
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Album der Woche | 04.07. - 10.07.2022 - Danae Dörken: "Odyssee"

Seitdem ihre griechischen Großeltern ihr als Kind die Odyssee vorgelesen haben, ist Danae Dörken von den Abenteuern des listenreichen Odysseus fasziniert. Nun hat die 1991 in Wuppertal geborene und heute bei Berlin lebende Pianistin ein Album aufgenommen, das sie das antike Epos heißt. Darauf finden sich zum einen Werke, die sich direkt auf die Odyssee beziehen.

Danae Dörken, Pianistin © Nikolaj Lund
Bild: Nikolaj Lund

Claude Debussy zum Beispiel war so von der Episode mit den Sirenen fasziniert, dass er ein ganzes Nocturne darüber geschrieben hat: "Als ich es zum ersten Mal gehört habe, klang es wirklich genauso, wie ich mir als kleines Mädchen den Klang der Sirene vorgestellt habe. Es ist ein beschwörender Gesang, von dem man sich vollkommen hingezogen fühlt, fast wie ein Magnet: Da muss ich hin, und ich kann gar nicht daran vorbeifahren.“

Durchhaltevermögen, Willenskraft und Intelligenz

Schon sehr früh ist die Odyssee für Dörken zum Symbol dafür geworden, dass man mit Durchhaltevermögen, Willenskraft und Intelligenz viel erreichen kann: "Und daher ist Odysseus für mich eine Bezugsperson geworden, weil ich mir dachte: Okay, wenn man in so einer scheinbar ausweglosen Situation doch noch eine Lösung findet, dann gibt es sicherlich aus allem irgendwie einen Ausweg.“

Ein Plädoyer für Weltoffenheit

Das Epos steht für Dörken aber auch ganz allgemein für das Reisen. Deshalb hat sie Werke wie Franz Liszts Bearbeitung von Franz Schuberts "Das Wandern" oder Felix Mendelssohn Bartholdys "Fantasie, Op. 28" aufgenommen: "Mendelssohn hat sehr viele Eindrücke von seiner Reise durch Schottland in diesem Werk verarbeitet. Und daher steht es dafür, wie wertvoll es ist, neue Sprachen, neue Kulturen, neue Bilder zu hören und zu sehen.“

Ganz unaufdringlich ein politisches Album

Die Odyssee hat für Danae Dörken zudem eine sehr aktuelle Dimension: "Auf den modernen Odysseen geht es den Menschen natürlich überhaupt nicht gut. Das sind Reisen, die sie machen, weil sie sich in Notlagen befinden, weil sie sich in Lebensgefahr befinden. Und das sind sehr gefährliche Reisen und ungewisse Reisen.“

Auf der griechischen Insel Lesbos hat sie 2015 ein Musikfestival ins Leben gerufen und erlebt, wie tausende Flüchtlinge dort ankamen. Weil es noch keinerlei Infrastruktur gab, hat sie Wasser verteilt – und die Flüchtlinge zu ihren Konzerten eingeladen. Musikalisch bringt Dörken dies mit Werken wie "Black Earth" des aus der Türkei stammenden Komponisten Fazil Say oder des Syrers Kinan Azmeh zum Ausdruck: "Das sind Stücke, die sehr stark den jetzigen Zeitgeist einfangen und wo man musikalisch hört, wie das ist, wenn man Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit spürt.“

Mit Charles Gounods "Marche funèbre d’une marionette" hat sie ein Werk aufgenommen, das eine groteske Szenerie beschreibt: Ein Trauermarsch für eine kaputte Marionette wird unterbrochen und alle holen sich Erfrischungsgetränke. Denn plötzlich scheint alles wichtiger als der Trauermarsch: "Wir sind auch mit vielen absurden, grotesken Situationen konfrontiert. Wenn Flüchtlinge am Strand ankommen und Menschen ein paar Meter weiter ihre Drinks trinken zum Beispiel. Das gibt es und vielleicht fühlt sich ja der eine oder andere dazu inspiriert, einen kleinen Schritt zu machen, um was zu verändern.“

Danae Dörken, Pianistin © Nikolaj Lund
Bild: Nikolaj Lund

Es bleibt die Hoffnung

Wie für Odysseus ist Hoffnungslosigkeit aber auch für Danae Dörken keine Option. Zumindest der Bonus-Track der CD weist einen Weg auf – mit den "Moonlight Reflections" des im Mai verstorbenen griechischen Komponisten Vangelis: "Ich stelle mir vor, dass Odysseus während er auf seinem Boot war, im Meer die Reflektion des Mondes gesehen hat und daraus Hoffnung und Kraft geschöpft hat.“

Moritz Reininghaus, rbbKultur