Album der Woche | 07.11. - 13.11.2022 - Daniel Behle und German Hornsound: "Heimat"
Was macht ein lyrischer Tenor, der alle wichtigen Werke für seine Stimme bereits preisgekrönt eingespielt hat - so wie Daniel Behle? Er plant frank und frei seine ganz persönlichen, verrückten Alben. Auch wenn sein Terminkalender voll ist, hat er Zeit für eine kleine Vorstellungsrunde.

Auf diesem Album sticht Schuberts "Erlkönig" besonders hervor. Das bekannte Lied wird hier von vier Hörnern stimmungsgeladen begleitet. Heißt das jetzt: Klavierbegleiter, ade?
Daniel Behle lacht: "Natürlich habe ich noch einen Klavierbegleiter, und ich mache auch sicherlich mal wieder eine Klavier-CD. Ich bin momentan auf der Suche nach etwas, das ein bisschen anders ist als das, was man üblicherweise zu Gehör bekommt."
Das Thema des Doppelalbums lautet "Heimat". Ein weiter Begriff, denn Heimat kann viel sein: ein Ort, ein Gefühl, sie kann schön oder weit weg sein.
Volkslied ist nicht alles
Besonders oft wird die Heimat in Volksliedern behandelt. So beginnt Behle auch ganz traditionell mit "Innsbruck, ich muss Dich lassen", ein Jazz-angehauchtes "Kommt ein Vogel geflogen" taucht auf und "Im Frühtau zu Berge". Über 50 Lieder und Songs hatten die fünf Musiker vom findigen Bearbeiter Alexander Krampe zur Auswahl.
Behle und Krampe setzen mit diesem Album aber nicht auf ein Potpourri beliebter Heimatliedchen. Den Begriff klopfen sie sehr hintergründig ab. Zum Beispiel ist auch jene Heimat dabei, die für politische Zwecke herhalten muss, wie beim DDR-Dauerbrenner "Meine Heimat", oft von Pionieren auf Appellen gesungen, die darin der sozialistisch-organisierten Heimat emotionsgeladen huldigen.
Das sei zu ungebrochen? Nein, widerspricht Behle, denn im Booklet ist jedes einzelne Lied von Kampe beschrieben und eindeutig eingeordnet. So auch das sogenannte "Buchenwaldlied", das in einer ganz anderer Zeit entstand, das Träume hochhielt in dunklen Zeiten.
Im wahrsten Sinne ein "starkes Booklet"
"Booklet" ist bei diesem Album stark untertrieben. Es ist ein 70-seitiges Begleitbuch in CD-Format. Daniel Behle: "Ich glaube, 80 Prozent sind inzwischen nur noch Download und Streaming. Man hört das dann sehr oberflächlich. Ich bin inzwischen auf dem Standpunkt: Wenn ich schon eine Aufnahme mache, dann nehme ich auch selbst Geld mit in die Produktion und mache dann lieber eine kleine Aufgabe mit großer Qualität. Es ist sonst sinnlos geworden, CDs zu machen."
Geschickte Dramaturgie
Die Programmierung der Lieder, die Reihenfolge haben Behle und Krampe sehr genau vorgenommen: Lied für Lied folgt einer geschickten Dramaturgie, die das gesamte Album prägt, denn nur so kann man Wagner und Krenek, Comedian Harmonists und Brahms schlüssig auf zwei CDs vereinen. Brücke ist immer wieder ein kleines Gedicht, ein Aphorismus, gelesen von Mario Adorf.
Daniel Behle: "Es muss eine ältere Stimme sein. Es muss jemand sein, der viel erlebt hat und auch noch mitreden kann. Ich weiß nicht, ob ein Junger schon so von Heimat erzählen kann, wie jemand, der schon viel mehr erlebt hat."
Behle als Komponist
Daniel Behle hatte auch Lust, ein eigenes Lied als Komponist beizusteuern: voller Witz und Ironie, geschrieben in der Corona-Zeit, in der das zu Hause zur stark abgezirkelten Heimat wurde: "Heimat ist da, wo der Schlüssel passt."

Ausschließlich deutschsprachiges Repertoire
Behle präsentiert auf "Heimat" ausschließlich Lieder in deutscher Sprache: "Ich maße mir nicht eine Kultur an, die ich nicht verstehe. Deswegen gibt es zum Beispiel keine amerikanischen Heimatlieder. Das wäre für mich ja nur von außen zu sehen. Aber so kann ich das, was ich singe, auch wahrhaftig behaupten - dass es die von uns allen verstandene Heimat ist."
Auf dem gesamten Album brillieren die Hörner von German Hornsound. Ihre Genauigkeit und ihre Spielfreude passen hervorragend zum großen Gestaltungsspektrum des Tenors, dessen Qualität auch hörbar wird durch seine große Textverständlichkeit.
Das Album "Heimat" ist also eine Reise in die vielen Heimat-Begriffe und Befindlichkeiten. Wer es einmal aufschlägt, wird es erst zur Seite legen, wenn alle Lieder und Texte gehört und alle Beschreibungen gelesen sind.
Cornelia de Reese, rbbKultur