Album der Woche | 30.05. - 04.06.2023 - Iiro Rantala: Veneziana
Die Lagunenstadt Venedig ist eine Stadt mit einer besonderen Musikgeschichte: Monteverdi und Vivaldi haben dort gewirkt, Opern von Rossini, Verdi, Britten, Prokofjew und Strawinsky wurden in Venedig uraufgeführt, Mozart und Sibelius haben Venedig besucht. Einige der Komponisten, die mit Venedig verbunden waren, stehen auf einem brandneuen Album mit dem Titel "Veneziana" – allerdings nicht als Urheber, sondern im Titel der Stücke. Geschrieben hat sie der finnische Pianist und Komponist Iiro Rantala für sein Album "Veneziana".
Den Auftrag, Musik für ein Album zum Thema Venedig zu schreiben, bekam Iiro Rantala Anfang des vergangenen Jahres. Die Idee kam von Siggi Loch, Gründer des Jazz-Labels ACT und Kurator der Reihe "Jazz at Berlin Philharmonic". Damit war auch gleich eine Verbindung zu den Berliner Philharmonikern geschaffen. Einige Musiker aus dem Orchester haben sich an dem Album beteiligt.
Die Musik solle mit Venedigs Kunstgeschichte zu tun haben, hatte Siggi Loch gesagt, aber ansonsten habe er freie Hand. Das war ganz im Sinne von Iiro Rantala, so konnte er seiner Fantasie völlig freien Lauf lassen.
Vivaldis Hyperaktivität
Iiro Rantala hat bizarre, lustige und charmante Venedig-Geschichten erfunden und die dann vertont. So hat er dem Venezianer Antonio Vivaldi Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität angedichtet. In dem Stück "Vivaldi’s ADHD" – also "Vivaldis ADHS" – hat er den Winter aus den "Vier Jahreszeiten" so komponiert, als habe Vivaldi sich nicht richtig konzentrieren können. Mal spielt plötzlich die Geige ein Solo, dann fängt unvermittelt das Fagott mit seinem Solo an.
Iiro Rantala: "So klingt es, wenn du voller Ideen bist und deine Gedanken in alle möglichen Richtungen abschweifen."

Verschiedene Genres verbinden
Von Vivaldi gibt es auch eine Verbindung zu anderen Genres. In Finnland sind Hard Rock und Heavy Metal sehr beliebt. Und die basieren auf Barockmusik, und Vivaldi ist ein Barockkomponist. Klar, dass in seinem Stück "Vivaldi’s ADHD" auch markante Beats zu hören sind.
Diese Verbindung zu anderen Genres ist typisch für Iiro Rantala. In seinem Heimatland Finnland hat er Jazz-Piano und an der renommierten Manhattan School of Music in New York klassisches Klavier studiert. In seiner Musik und seinen Klavier-Improvisationen verbindet er Elemente aus Klassik, Pop und Jazz – das klingt ganz natürlich und organisch. Neben herrlich fließenden Melodien und pulsierenden Rhythmen ist Humor ein Markenzeichen seiner Musik. Selbst der Trauermarsch "Morte a Venezia" zum Gedenken an die venezianischen Künstler treibt einem nicht gerade die Tränen in die Augen. Tragik sei eben nicht sein Ding, sagt Iiro Rantala.
Glückliche Geschichte mit Alkohol
Natürlich hat er sich auch eine Story über seinen Landsmann Jean Sibelius ausgedacht: Sibelius hat gerade seine Sinfonie Nr. 4 zu Ende geschrieben. Ein Werk, das ganz anders, nämlich viel moderner klingt als seine anderen Sinfonien.
Iiro Rantala: "Er ist total erstaunt, weil er seine eigene Komposition selbst nicht versteht. Also beschließt er, in den Urlaub zu fahren. Er will trinken und allein sein. So fährt er nach Venedig. Und dort findet er beim Komponieren und beim Trinken seinen Stil wieder. Deshalb habe ich das Stück 'Sibelius in Venedig' sehr stark nach dem ursprünglichen Stil von Sibelius komponiert. Trotz des Alkoholismus ist es irgendwie eine glückliche Geschichte."
Schöne Erfahrung
Iiro Rantala hat die Musik für Klavier und zehnköpfiges Ensemble geschrieben. Mit den Musikern aus den Reihen der Berliner Philharmoniker hat er "Veneziana" im Februar in der Philharmonie Berlin zum ersten Mal aufgeführt – und dabei gleich für das Album aufgenommen. Musik von George Gershwin und Leonard Bernstein haben die Berliner Philharmoniker schon lange im Repertoire. Jazz zu spielen, ist für sie also nichts Neues. Und so konnten sie sich gleich auf die Grooves und Farben konzentrieren. Mit ihnen das Album "Veneziana" aufzunehmen, war für Iiro Rantala "fantastisch, eine wirklich schöne Erfahrung".
Imke Griebsch, rbbKultur